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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Nachrichten, kein Wort über Gernhardt. Wir zahlen und gehen noch etwas durch die Straßen, zwei unter vielen; Gefühl von Ehe beim Nebeneinandergehen in warmer Luft, einer Verlängerung, die einfach immer weiter läuft, bei der unentschieden und entschieden eins sind. Trennung für eine Nacht dann am Schweizer Platz, mit kurzem Winken, wie schon tausende Male.
    Ob er noch mit dieser Frau zusammen sei, hatte der Verheiratete seinen zuletzt viel eheähnlicher eingerichteten Freund alle Jahre gefragt, und die Antwort fiel von Mal zu Mal etwas präziser aus, von einem halblauten Ja, schon bis zu einem durch Räuspern hervorgehoben Ach, ja, sicher. Und in dem Zusammenhang auch erstmals das Wort Gefährtin (das ich übernommen habe, weil mir nichts Besseres einfiel), verbunden mit einer Gegenfrage: Ob’s in einer Ehe nicht irgendwann den Wunsch gebe, noch mal etwas ganz Neues zu erleben, nein? Es war auch oder eher eine Frage an sich selbst, wie weit man sich mit dem finalen anderen abgefunden hatte, nur sollte der Freund sie für ihn beantworten, und ich sagte, es sei schon gut so, und M. bekam seinen Lachhusten und steigerte diese Aussage noch, als er wieder Luft hatte: Es sei besser so. Und das klang, als wäre der andere Zustand, der der offenen Wünsche, eine Alterskrankheit, der einzigen, die sich scheinbar bekämpfen lässt – in Wahrheit aber unheilbar wie fortgeschrittener Krebs, nur dass man nicht an Geschwulsten leidet, sondern an Hohlräumen.
    Und die Ehefrau (U.) vor kurzem nach einem Kuss: Es sei ja inzwischen so, als würde sie gar keinen anderen mehr küssen. Kein Vorwurf an den Mann, ein Vorwurf an das Leben; aber den Wiederholungen in der Ehe, der Abnutzung des anderen als anderen, entsprechen bereits die Tautologien der Verliebheit (Sweets for my sweet, sugar for my honey), die x-te Wiederholung des alten Seufzers Ich-liebe-Dich, und schon das liegt nicht jedem. Was für die einen pure Selbsterhaltung ist (täglicher Liebesbeweis als Droge), ist für andere die Aushöhlung ihrer selbst. M. war natürlich erklärter Gegner von Wiederholungen und damit der Ehe, hatte aber immer Frauen aufgegabelt, die sich zum Nestbau anregen ließen, ja, er hat sie darin unterwiesen, und wenn das Nest auch mit dem eigenen ästhetischen Zutun schließlich fertig war, hat er es benützt, um von dort aus fortzufliegen. Er brauchte einen Hafen, um sich davonzumachen, und am Ende hat er sich auch noch innerhalb des Hafens davongemacht, eingeschlossen im Bad, um mit seiner Wenigkeit als Gesellschaft zu rauchen (während der Verheiratete bis heute eine eigene Wohnung hat und damit auf das Nest von Frau und Kindern auch nur ein begrenztes Anrecht).
    In der Sonntags-Zeitung eine Klagenfurt-Nachlese, die neuen Schreibenden. Man komme aus dem Internet, so eine Antwort auf Fragen der Herkunft (für einen, der gar keinen Internetanschluss besitzt, eine Antwort ohne Belang). Und weiter hinten eine Seite für Gernhardt, mit einem seiner letzten Gedichte, darin die Zeilen: »Warst einst viel groß / Bist jetzt viel klein. // War einst viel Glück / Ist jetzt viel Not. / Bist jetzt viel schwach / Wirst bald viel tot.« M. hätte sich das im Bad aufsagen können, wäre er ein zu Tode betrübter Dichter gewesen, aber wer weiß, ob er sich nicht genau das, nur mit anderen Worten oder gänzlich ohne Worte beim Rauchen vor dem Spiegel mit Blick in sein frühes Greisengesicht aufgesagt hat, einem Blick, dem nichts entging, am wenigsten der eigene Schwund – dem Blick auf die Karikatur des Früheren, den jeder über fünfzig kennt, und den viele auf ihre Art korrigieren. Die einen färben sich das Haar und hungern, die anderen gehen ins Sonnenstudio, die ganz Nervösen zum Chirurgen; und M. wollte nur nicht mehr angefasst werden. Er hat seine alte Haut gerettet, indem er jeder anderen Haut auswich, und hungern musste er nicht, weil er von selbst abnahm. Er wurde immer weniger, das hatte er am wenigsten ertragen. Bei unseren letzten drei Treffen im Abstand von einem Jahr fielen die Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied immer flüchtiger aus. Seine schmale Hand lenkte meine breitere schon auf ihrem Weg Richtung Kopf zur Seite; er wollte sein Gesicht nicht mehr in fremde Hände legen, und neben der Haut, die nicht mit sich spaßen ließ, gab es noch das Problem der angemessenen Antwort, nach der ja jede Berührung verlangt. Also wich er dem Ganzen aus, auch durch Verpuppung mit einem immer dichteren Bart; ungeschützt waren nur die Augen,

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