Eros und Asche
Tage danach, wieder verknüpft mit dem Aufsetzen der Brille, gesagt hat, diese Schwanzsache sei keine gute Sache gewesen. Keine so glückliche, sagte er wörtlich.
Abends ein Gang von Wohnung zu Wohnung zu den Nachbarfreunden, und dann rücken die immer noch lichtempfindlichen brillengeschützten Augen das Halbfinale (bei bestem italienischen Essen auf der Dachterrasse) in eine gewisse Ferne, die auch eine gewisse Distanz zu dem Gegenstand nach sich zieht. Die Italiener, so viel wird deutlich, greifen überraschend viel an und bleiben auch dabei, prallen jedoch auf stabile Abwehr und haben dann Glück, als einer der unseren in der Dreiundreißigsten die Chance der Chancen vergibt. In der Pause (beim Carpaccio) steht es null zu null, und nach neunzig Minuten (nach Spaghettini al pesto) steht es immer noch so, obwohl wir besser geworden sind, ebenfalls angreifen. Und dann kommt die Verlängerung (beim Semi-freddo), und schon nach zwei Minuten fast die Vorentscheidung, hätten wir nicht Schwein gehabt – der Ball rollte aufs leere Tor zu und blieb irgendwie am Pfosten hängen, und so steht es auch nach hundertfünf Minuten noch null zu null. Dann aber kommen die Italiener noch einmal und das nicht angefacht von der Kulisse, sondern nur mit der Faust ihrer Herkunft im Nacken; zweitausend Jahre Kulturgeschichte stürmen da über das Feld der Ehre, Erwachsene spielen ein paar Jugendliche aus, die zwar alles geben und auch manches zu bieten haben, nur eben kaum mehr sind als das immer wieder beschworene Team, während die Italiener in diesen letzten Minuten ganz sie selbst und gleichwohl ganz Italien sind. Grosso ist Grosso und zugleich ein Nachfahre Scipios und Michelangelos, aber auch eines Garibaldi und Mastroianni, als er in der Hundertachtzehnten das erste Tor macht, und Del Piero ist ganz Italien, mit heiligem Ernst, und darum auch ganz Del Piero, als er in der letzten Minute die Sache mit dem zweiten Tor besiegelt. Nicht die bessere Mannschaft, die bessere Geschichte hat sich am Ende behauptet.
Heiliger Ernst (und heiliger Strohsack). Bei unserem vorletzten Treffen an einem windigen Herbsttag im Einstein, Kurfürstenstraße, hatte M. nach einer Nusstorte, auf die er scharf war, plötzlich seine geheimsten Lieblingsbücher aufgezählt, und die Titel und Autorennamen schienen im Zigarettenrauch, der ihn umgab, eine Girlande zu bilden, während er mit dem Knie wippte und in den schwarzen Kaffee sah (und ein paar Tische weiter ein Parteivorsitzender mit seinen Gesellen saß). M. schaute nicht nach links und rechts, nur in die Tasse und manchmal zu mir, von unten nach oben, jeweils beim Anzünden der Zigarette, und ich sah förmlich das eheähnliche Leben, das er mit diesen Toten und ihren Büchern führte, aber konnte es auch heraushören bei jedem Namen, den er mit leisem Nachdruck aussprach, etwa so, wie man auf dem Standesamt Ja sagt, wenn man insgeheim mehr daran glaubt als jeder Heiratsselige. Und kaum war die Aufzählung beendet, tippte er mit der Kuchengabel an ein Vokabelheft für Notizen, das der schreibende Freund so unvermeidlich neben sich liegen hatte wie er sein Feuerzeug – ob ich meine Tagebuchhefte von früher noch hätte, fragte er, und von mir nur ein Nicken, und er sagte, Heiliger Strohsack, und kam noch im selben Atemzug oder einen Zigarettenzug später damit, dass er seine verbrannt habe, schon vor Jahren. Aber warum, das war sofort die Frage – falls er sie verbrannt hat, und falls solche Hefte oder nennenswerte Eintragungen darin jemals existiert haben und er damals im Zimmer nicht nur so getan hatte, als würde er schreiben. Warum? M. schaute an mir vorbei, er rieb über sein Kinn, dass es knisterte, und der Mund wurde breit, ohne dass die Augen mitlächelten. Er hatte den Parteivorsitzenden entdeckt und flüsterte nur den Namen eines einstigen Schulsprechers, der mit Schlips zum Unterricht kam, bevor er in sein ersticktes, höllenviehisches Lachen ausbrach und die Gespräche an den Nachbartischen verstummten. Immer wieder kam dieser Schulsprechername aus seinen Bronchien, mit einem Erstickungskeuchen, als würde er sterben an dem Kaffeehaustisch, und ich wiederholte die Frage, warum er die Bücher oder Hefte verbrannt habe, um ihn irgendwie zu beruhigen, aber auch um die Blicke von uns abzulenken. Einfach weil es bessere Tagebücher gebe, erwiderte er hustend und mit angelaufenem Kopf, Tränen in den Augen vom Lachen, während ich das Vokabelheft auf den Schoß nahm und der
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