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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Die Yanonami könnten ihren Wäldern ohne weiteres größere Gärten abringen, um mehr anzupflanzen, hätten aber dann Nahrung im Überfluß. 52
    Dieses Naturvolk nimmt keineswegs eine Sonderstellung ein. Alle Untersuchungen an primitiveren Lebensgemeinschaften, die man unternehmen konnte, bevor nationale Regierungen diesen Kulturen ihre Gesetze aufdrängen konnten, ergaben ein sehr hohes Niveau routinemäßiger Gewalt. Eine Studie kam zu dem Schluß, daß ein Viertel der in solchen Gemeinschaften getöteten Männer von anderen Männern ermordet wurde. Was die Motive angeht, so steht Sexualität hier im Vordergrund.
    Der Gründungsmythos der westlichen Zivilisation, Homers Ilias, ist eine Geschichte, die mit einem Krieg um die Entführung einer Frau beginnt. Helena war ihr Name. Lange wurde die Entführung der Helena nach Troja von den Historikern nur als Vorwand für die territoriale Konfrontation zwischen Griechen und Trojanern verstanden. Aber können wir wirklich so selbstsicher und herablassend sein? Vielleicht führen die Yanonami wirklich ihre Kriege um Frauen, genau wie sie es sagen. Vielleicht taten dies auch Agamemnons Griechen, genau wie Homer es sagte. Die Ilias beginnt mit einem Streit zwischen Agamemnon und Achilles – und davon ist sie in weiten Teilen auch beherrscht. Bei diesem Streit geht es darum, daß Agamemnon darauf besteht, von Achilles Briseis als Konkubine zu erhalten, und zwar als Ersatz für seine eigene Konkubine Chryseis, die er ihrem Vater zurückgeben muß, einem Priester, der Apollos Hilfe gegen die Griechen beschworen hatte. Dieser Zwist in den eigenen Reihen kostet die Griechen beinahe den gesamten Sieg in einem Krieg, der ebenfalls durch den Streit über eine Frau entbrannt war.
    In Lebensgemeinschaften vor der Einführung des Ackerbaus mag Gewalt durchaus ein Weg zum sexuellen Erfolg gewesen sein, insbesondere in unruhigen Zeiten. In vielen verschiedenen Kulturen waren die Kriegsgefangenen eher Frauen als Männer. Doch das Echo hallt bis in die heutige Zeit nach. Armeen wurden häufig ebensosehr durch die Aussicht auf Raub und Vergewaltigung im Siegesfalle motiviert wie durch Patriotismus oder Furcht. Generäle wußten dies, verschlossen die Augen vor den Exzessen ihrer Truppen und sorgten für Marketenderinnen. Selbst in unserem Jahrhundert ist der Besuch von Prostituierten als Begründung für einen Kurzurlaub bei der Marine mehr oder weniger anerkannt. Und noch heute sind Krieg und Vergewaltigung miteinander verknüpft. In Ostpakistan (dem heutigen Bangladesch) wurden während einer neunmonatigen Besetzung durch westpakistanische Truppen im Jahre 1971 bis zu vierhunderttausend Frauen von den Soldaten vergewaltigt. 53
    Die 1992 an die Öffentlichkeit gedrungenen bosnischen Berichte über organisierte Vergewaltigungslager für serbische Soldaten waren einfach zu allgegenwärtig, als daß man sie hätte ignorieren können. Don Brown, Anthropologe in Santa Barbara, berichtet über seine Zeit in der Armee: »Die Männer redeten Tag und Nacht über Sex, über Macht wurde nie gesprochen.« 54

Monogame Demokraten
    Zum Wesen des Mannes gehört es also, Gelegenheiten zu polygamen Beziehungen beim Schopf zu packen – so sie ihm gewährt werden – und im Wettstreit mit anderen Männern Reichtum, Macht und Gewalt zur Erreichung sexueller Ziele einzusetzen – allerdings in der Regel nicht, wenn dadurch eine sichere monogame Beziehung aufs Spiel gesetzt würde. Kein sehr schmeichelhaftes Bild, enthüllt es doch Züge, die heftig mit modernen ethischen Grundsätzen kollidieren: Grundsätzen wie Monogamie, Treue, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit. Meine Aufgabe aber ist es, den Zustand zu beschreiben, nicht, ein Rezept dagegen zu liefern. Schließlich gibt es in der menschlichen Natur nichts Unveränderbares. In The African Queen sagt Katherine Hepburn zu Humphrey Bogart: »Natur, Mr. Allnut, ist etwas, worüber wir uns in unserem Leben hinauszuentwickeln haben.«
     
    Im übrigen hat das lange Zwischenspiel menschlicher Polygamie, das vor etwa viertausend Jahren in Babylon begann, im Westen mehr oder weniger sein Ende gefunden. Offizielle Kurtisanen wurden zu inoffiziellen Geliebten, Geliebte wurden zu Geheimnissen, die vor Ehefrauen gehütet wurden. Im Jahre 1988 hatte politische Macht aufgehört, eine Freikarte zur Polygamie zu sein, denn bereits der Hauch eines Verdachts auf Untreue konnte sie gefährden. Während Fei-ti, der Kaiser von China, tausend Frauen in

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