Eros und Evolution
Primatologen angestrengt, unsere vorgefaßten Ansichten über das friedfertige Leben von Affen in gewaltfreien Gesellschaften zu bestätigen. Dann begannen sie, sich der selteneren, aber ernsteren Seite des Schimpansenlebens zu widmen. Die Männchen eines Schimpansen-»Stammes« führen gelegentlich gewalttätige Überfälle gegen die Männchen eines anderen Stammes, wobei sie ihre Feinde abpassen und töten. Das ist ein großer Unterschied zum Territorialverhalten vieler anderer Tiere, die sich damit zufriedengeben, Eindringlinge zu vertreiben. Möglicherweise wollen die Angreifer sich das feindliche Territorium aneignen, doch wäre das ein karger Lohn für ein so gefährliches Unternehmen. Die männliche Allianz erwartet ein weitaus reicherer Lohn: Die jungen Weibchen der unterlegenen Gruppe schlagen sich auf die Seite der Sieger. 48 Wenn Krieg uns tatsächlich als direktes Erbe der Feindseligkeiten zwischen Gruppen konkurrierender Affenmännchen um fremde Weibchen zugefallen ist, kann man schlußfolgern, daß vielleicht auch Stammesfehden eher um Frauen denn um Territorien ausgetragen werden. Lange Zeit haben Anthropologen darauf beharrt, Kriege würden stets um rare materielle Ressourcen geführt, vor allem um Protein, das oftmals schwer zu beschaffen ist. Als dann aber der in dieser Tradition herangewachsene Anthropologe Napoleon Chagnon in den sechziger Jahren auszog, etwas über die Yanonami in Venezuela in Erfahrung zu bringen, bekam er einen Schock: »Diese Leute kämpften keineswegs – wie man mir während des Studiums hatte beibringen wollen – um knappe Ressourcen, sie kämpften um Frauen.« 49 Zumindest sagten sie das. Es gibt eine gute alte anthropologische Tradition, die besagt: »Glaube nie, was die Leute dir erzählen«, und so machte man sich über Chagnon lustig, weil er ihnen glaubte. Oder, wie er sich ausdrückt: »Den Magen darfst du als Kriegsgrund anführen – die Gonaden nicht.« Chagnon kehrte wieder und wieder zu den Yanonami zurück und sammelte eine Menge schockierender Daten, die keinen Zweifel mehr daran lassen, daß Männer, die andere Männer töten (unokais), unabhängig von ihrem sozialen Status mehr Frauen haben als Männer, die nicht zu Mördern werden. 50 Bei den Yanonami drehen sich Krieg und Gewalt in erster Linie um Sex.
Die Entführung einer Frau oder die Rache für ein solches Vergehen läßt einen Krieg zwischen zwei benachbarten Dörfern ausbrechen, dessen Ergebnis darin besteht, daß Frauen ihren Besitzer wechseln. Die häufigste Ursache für Gewalt innerhalb eines Dorfes ist ebenfalls Eifersucht; ein zu kleines Dorf wird der Frauen halber geplündert, ein zu großes Dorf zerbricht am Seitensprung. Bei den Yanonami sind Frauen Währung und Lohn männlicher Gewalt. Viele Yanonami sterben einen gewaltsamen Tod. Bis zum Alter von vierzig Jahren haben zwei Drittel aller Menschen einen nahen Verwandten durch Mord verloren.
Schmerz und Furcht angesichts der Morde werden dadurch aber in keiner Weise abgeschwächt. Den Yanonami, die ihre Wälder verlassen, erscheint das Leben in einer von Gesetzen geregelten Umgebung, die Mord verhindert, als geheimnisvoll und ungeheuer begehrenswert.
Ebenso erinnern die Griechen sich mit großer Genugtuung an die Abschaffung gerichtlich verfügter Rache durch den Urteilsspruch über Orest als einen Meilenstein in ihrer Geschichte. Laut Aischylos tötete Orest Klytämnestra, weil diese Agamemnon hatte ermorden lassen, die Furien aber wurden von Athene überredet, das Gerichtsurteil anzuerkennen und das System der Blutrache zu beenden. 51 Thomas Hobbes übertrieb nicht, als er schrieb, »ständige Angst und die Furcht vor einem gewaltsamen Tod« seien charakteristisch für das Lebensgefühl der frühen Menschheit gewesen – obgleich er im zweiten und vertrauteren Teil des Satzes weit weniger richtig lag: »und ein Menschenleben, einsam, arm, abscheulich, verroht und kurz«.
Chagnon ist inzwischen der Ansicht, daß die traditionelle Lehre – Menschen kämpfen nur um knappe Ressourcen – an den Tatsachen vorbeigeht. Wenn die Ressourcen knapp sind, kämpfen die Menschen um sie.
Wenn nicht, dann tun sie das nicht. »Warum soll man sich damit herumschlagen, um Mangango-Nüsse zu kämpfen, wenn doch der einzige Grund für deren Besitz darin besteht, daß sie einem den Weg zu Frauen ebnen. Warum nicht gleich um Frauen kämpfen?« Er ist der Meinung, die meisten menschlichen Kulturen reichten nicht an die Grenzen irgendwelcher Ressourcen heran.
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