Eros und Evolution
Stereotyp der Evolutionstheorie – von ihrem eigenen Trupp zum Stelldichein mit anderen Männern entfernten. Weibchen also, die aktiv nach Vielfalt bei ihren Geschlechtspartnern strebten, Weibchen, die mit derselben Wahrscheinlichkeit eine sexuelle Beziehung begannen wie Männchen. Weit davon entfernt, wählerisch zu sein, entpuppten sich die Weibchen als Urheber der Promiskuität. Hrdy gelangte zu der Vermutung, daß vielleicht eher mit der Theorie als mit den Weibchen etwas nicht stimmte. Ein Jahrzehnt später weiß man, was hier nicht stimmte: Eine Handvoll Ideen, zusammengefaßt unter der Bezeichnung »Theorie der Spermienkonkurrenz«, hat ein völlig neues Licht auf die Evolution weiblichen Verhaltens geworfen. 3
Die Lösung zu dem Problem fand sich in Hrdys Arbeit. Bei ihren Studien über die Languren von Abu in Rajasthan hatte Hrdy eine grausige Entdeckung gemacht: Von Affenmännchen verübter Mord an Affenbabys war an der Tagesordnung. Jedesmal, wenn ein Männchen einen Trupp Weibchen übernimmt, tötet es alle Säuglinge der Gruppe. Genau dasselbe hatte man einige Jahre zuvor bei Löwen beobachtet: Wenn mehrere Brüder ein weibliches Rudel erringen, ist ihre erste Handlung der Mord an Unschuldigen. Wie man in der Folge feststellen sollte, ist der von Männchen verübte Kindesmord bei vielen Nagern, Fleischfressern und Primaten gang und gäbe. Selbst unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, machen sich dessen schuldig. Die meisten Naturfreunde neigen, genährt durch eine Diät aus sentimentalen naturgeschichtlichen Fernsehsendungen, zu der Annahme, sie seien Zeugen einer pathologischen Verirrung. Doch Hrdy und ihre Kollegen hatten eine andere Erklärung anzubieten. Der Kindesmord, so glauben sie, ist eine »Adaptation«, eine in der Evolution gewachsene Strategie. Durch den Mord an seinen Stiefkindern beendet das Männchen die Milchproduktion des Weibchens und sorgt somit dafür, daß es wieder eher empfängnisbereit wird.
Ein Alpha-Männchen bei den Languren oder ein paar Löwenbrüder haben ihre Führungsposition nur kurze Zeit inne, und der Kindesmord hilft ihnen, innerhalb dieser Zeitspanne die maximale Zahl an Nachkommen zu produzieren. 4
Die Beobachtung von Kindesmord bei Primaten trug dazu bei, die Paarungssysteme der fünf Menschenaffenspezies verstehen zu lernen, denn damit lag zum erstenmal ein Grund vor, weshalb sich Weibchen einem Männchen oder einer Gruppe von Männchen gegenüber loyal verhalten sollten und umgekehrt: um ihre gemeinsamen genetischen Investitionen vor mörderischen rivalisierenden Männchen zu schützen. Grob gesagt wird das Sozialgefüge bei Affenweibchen durch die Verteilung der Nahrung bestimmt, bei Affenmännchen durch die Verteilung der Weibchen.
Orang-Utan-Weibchen ziehen es beispielsweise vor, allein in streng abgegrenzten Territorien zu leben, um die spärlichen Ressourcen besser ausnutzen zu können. Die Männchen leben ebenfalls allein und versuchen, die Reviere mehrerer Weibchen zu monopolisieren. Die Weibchen in diesem Territorium erwarten von ihrem »Ehemann«, daß er ihnen zu Hilfe kommt, wenn ein anderes Männchen auf der Bildfläche erscheint.
Auch Gibbonweibchen leben allein. Gibbonmännchen sind in der Lage, die Reviere von bis zu fünf Weibchen zu verteidigen, und könnten ohne weiteres dieselbe Form von Polygamie praktizieren wie die Orang-Utans: Ein Männchen bewacht die Reviere von fünf Weibchen und paart sich mit allen. Außerdem sind Gibbonmännchen als Väter relativ nutzlos. Sie füttern die Jungen nicht, beschützen sie nicht vor Adlern, sie bringen ihnen nicht einmal etwas bei. Weshalb also bleiben sie so treu bei einem Weibchen? Die eine große Gefahr, vor der ein Vater sein Junges bewahren kann, ist die Bedrohung durch ein anderes Gibbonmännchen. Robin Dunbar von der Liverpool University ist der Ansicht, Gibbons seien monogam, um dem Kindesmord vorzubeugen. 5 Ein Gorillaweibchen ist dem Männchen ebenso treu wie ein Gibbonweibchen. Sie geht, wohin er geht, und tut, was er tut. Und er ist, wenn man so will, ihr ebenfalls treu. Er bleibt viele Jahre lang bei ihr und sieht ihr zu, wie sie seine Kinder großzieht. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zu den Gibbons: Er hat viele Weibchen in seinem Harem, denen er jeweils ebenso treu ist. Richard Wrangham von der Harvard University ist der Überzeugung, daß auch das soziale Gefüge der Gorillas in erster Linie dem Ziel dient, Kindesmord zu verhüten, und in diesem Fall ist auch die
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