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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Standpunkt, denn die Menschen, über die er die psychologische Herrschaft zu erlangen suchte, waren seine eigenen Verwandten, die Nachkommen der intelligentesten Leute früherer Generationen. Pinker und Bloom dazu: »Die Interaktion mit einem Organismus von annähernd denselben intellektuellen Qualitäten, dessen Motive zuweilen von offenkundiger Bosheit [sic] sein können, stellt ungeheure und ständig wachsende Anforderungen an das Erkenntnisvermögen.« 35
    Wenn Tooby und Cosmides mit ihrer Vorstellung von mentalen Modulen richtigliegen, dann befand sich unter den Modulen, die durch das intellektuelle Schachspiel zur Größenzunahme ausgewählt wurden, sicher auch eines, das uns in die Lage versetzte, die Gedanken unserer Mitmenschen zu erkennen, und eines, mit dessen Hilfe wir einander unsere eigenen Gedanken unter Einsatz von Sprachmodulen übermitteln konnten. 36 Wenn man sich einmal umschaut, finden sich mehr als genug Hinweise auf eine solche Vorstellung. Tratsch beispielsweise ist ein universelles menschliches Phänomen. Jede Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die einander gut kennen – Mitarbeiter, Familienangehörige, alte Freunde –, erschöpft sich bei fast jedem Thema ausgesprochen rasch, es sei denn, das Gespräch dreht sich um das Verhalten, die Ambitionen, Motive, Schwächen und Affären anderer abwesender – oder auch anwesender – Gruppenmitglieder. Deshalb sind übrigens Seifenopern eine so überaus effiziente Möglichkeit zur Unterhaltung von Menschen. 37 Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine rein westliche Eigenschaft. Konner schrieb über seine Erfahrungen mit den!Kung San: »Nach zwei Jahren bei den San beginne ich, die Epoche des Pleistozäns (die drei Millionen Jahre, in deren Verlauf wir uns entwickelt haben) als eine endlose Folge von zwischenmenschlichen Zusammenstößen zu sehen. In vielen Nächten drang, wenn wir uns zur Ruhe begaben, ein lebhafter Austausch der um das Feuer Versammelten durch die dünnen Wände der Grashütten; freimütige Eingeständnisse von Gefühlen und lebhafte Wortgefechte setzten ein, sobald die Feuer in der Abenddämmerung entfacht wurden, und endeten erst mit der Morgendämmerung.« 38
    Nahezu alle Romane und Schauspiele drehen sich um dasselbe Thema, selbst dann, wenn sie sich als Historie oder als Abenteuer verkleiden.
    Wenn Sie menschliche Motive verstehen wollen, sollten Sie Proust, Trollope oder Tom Wolfe lesen, nicht aber Freud, Piaget oder Skinner. Wir sind von der geistigen und seelischen Beschaffenheit des anderen nahezu besessen. »Unsere intuitive Psychologie des gesunden Menschenverstandes übertrifft, was Treffsicherheit und Weitblick angeht, die wissenschaftliche Psychologie um Längen«, so Don Symons. 39 Horace Barlow führt aus, daß die großen literarischen Geistesgrößen nahezu definitionsgemäß auch große Kenner der menschlichen Psyche waren.
    Shakespeare war ein weit besserer Psychologe als Freud und Jane Austen eine sehr viel bessere Soziologin als Durkheim. Wir sind gescheit, weil wir – und in dem Maße, wie wir – natürliche Psychologen sind. 40 Die Romanciers haben dies im übrigen zuerst erkannt. George Eliot gibt in Felix Holt, the Radical die erste präzise Zusammenfassung der Alexander-Humphrey-Theorie: »Stell dir vor, wie ein Schachspiel aussähe, wenn alle Figuren über Leidenschaft und einen kleinen, mehr oder weniger listigen Verstand verfügten; und wenn du dir nicht nur über die Figuren deines Gegners im unklaren wärest, sondern in gewissem Maße auch über deine eigenen … Besonders leicht wärest du zu schlagen, wenn du dich nur auf deine mathematische Vorstellungskraft verlassen und deine leidenschaftlichen Figuren unterschätzen würdest. Ein solches fiktives Schachspiel läßt sich gut mit einer Partie vergleichen, bei der ein Mensch zusammen mit seinen Mitmenschen gegen andere Mitmenschen um irgendwelche Mittel spielt.«
    Die Alexander-Humphrey-Theorie, auch unter dem Namen Machiavelli-Hypothese 41 geläufig, ist im Grunde recht einleuchtend, doch hätte sie weder in den sechziger Jahren, vor der »Egoismus«-Revolution in der Verhaltensforschung, noch von irgendwem, dessen Denkweise den Sozialwissenschaften verhaftet war, formuliert werden können, denn sie setzt eine zynische Betrachtungsweise tierischer Kommunikation voraus. Bis zur Mitte der siebziger Jahre hatten Zoologen Kommunikation stets als Informationstransfer gesehen: Es mußte daher im Interesse beider – des Übermittelnden wie

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