Eros und Evolution
Schlußfolgerungen grundsätzlich nicht übermäßig geeignet, wohl aber dafür, die Fairneß eines Sozialabkommens und die Ernsthaftigkeit sozialer Angebote einzuschätzen.
Wir leben in einer mißtrauischen machiavellistischen Welt. 44 Richard Byrne und Andrew Whiten von der University of St. Andrews haben sich mit Pavianen in Ostafrika beschäftigt. Eines Tages wurden sie Zeuge, wie ein junger Pavian namens Paul ein erwachsenes Weibchen, Mel, dabei beobachtete, wie es eine große Wurzel ausgrub. Er sah sich kurz um und stieß dann einen schrillen Schrei aus. Mit diesem Schrei alarmierte er seine Mutter, die daraufhin »annahm«, Mel habe das Futter von ihrem Jungen gestohlen oder das Junge in irgendeiner Form bedroht, und sie davonjagte. Paul tat sich an der Wurzel gütlich.
Diese soziale Manipulation seitens des jungen Pavians erforderte ein gewisses Maß an Intelligenz: das Wissen, daß er mit dem Schrei seine Mutter alarmieren würde, eine Vermutung darüber, was die Mutter angesichts der Situation »annehmen« würde, und die Prognose, daß es Paul vermutlich die Wurzel einbringen würde. Auch er benutzte seine Intelligenz, um andere damit zu täuschen. Byrne und Whiten äußerten daraufhin die Vermutung, daß kalkulierter Betrug beim Menschen häufig ist, bei Schimpansen gelegentlich vorkommt, bei Pavianen selten und bei anderen Tieren mehr oder minder unbekannt ist. Täuschung und deren Aufdeckung wären somit die Hauptgründe für die Existenz von Intelligenz. Ihrer Ansicht nach haben Menschenaffen die bis zu ihrem Erscheinen einzigartige Fähigkeit erworben, sich mögliche Alternativen vorstellen zu können und diese Vorstellung zum Betrug einzusetzen. 45 Robert Trivers schließlich gab zu bedenken, daß ein Tier auch zu einem gewissen Grad sich selbst täuschen muß, wenn es andere erfolgreich täuschen will, und daß das Kennzeichen der Selbsttäuschung den Übergang vom bewußten zum unbewußten Intellekt markiert. Somit ist die Fähigkeit zur Täuschung der Grund für die Erfindung des Unterbewußtseins. 46
Und doch trifft Byrnes und Whitens Beurteilung des Pavian-Vorfalls genau den schwachen Punkt der machiavellistischen Thesen: Sie gelten für jede sozial lebende Art. Lesen Sie einmal Geschichten aus dem Leben einer Schimpansengruppe, Sie werden feststellen, welch schmerzliche Ähnlichkeit die Szenen mit menschlichen Gegebenheiten haben. In Jane Goodalls Bericht über die Karriere eines sehr erfolgreichen Männchens namens Goblin schildert sie dessen frühen und selbstsicheren Aufstieg innerhalb der Hierarchie. Er fordert zuerst ein Weibchen nach dem anderen heraus und besiegt es, anschließend verfährt er mit den Männchen ebenso; einer nach dem anderen kommt an die Reihe: Humphrey, Jomeo, Sherry, Satan und Evered. »Nur Figan [das α-Männchen] war davon ausgenommen. Im Grunde war es seine Beziehung zu Figan, die ihn in die Lage versetzte, alle diese älteren und erfahreneren Männchen herauszufordern: Er hielt sich fast immer zurück, wenn Figan nicht in seiner Nähe war.«
Für den menschlichen Leser ist das, was nun kommt, verblüffend logisch: »Wir hatten bereits eine Weile damit gerechnet, daß Goblin sich auch gegen Figan wenden würde. Genaugenommen verblüfft es mich noch immer, weshalb Figan, der doch sonst so gewieft war, wenn es um soziale Beziehungen ging, die unabdingbaren Folgen einer Begünstigung Goblins nicht hatte voraussehen können.« 47 Es gibt noch ein paar Verwicklungen, doch der Ausgang überrascht uns nicht; Figan wird bald gestürzt. Machiavelli warnte seinen Prinzen wenigstens, er solle sich Rückendeckung verschaffen. Brutus und Cassius hielten ihre Verschwörung sorgfältig vor Julius Cäsar geheim; das Attentat wäre niemals möglich gewesen, hätten sie ihre eigenen Ambitionen offen zutage treten lassen. Selbst der machtblindeste Diktator wäre nicht derart überrascht gewesen, wie Figan es war. Natürlich beweist das nur, daß Menschen schlauer sind als Schimpansen, was im Grunde keine besondere Überraschung darstellt. Die Frage ist jedoch: Warum? Hätte Figan ein größeres Gehirn gehabt, hätte er sein Geschick möglicherweise vorausgesehen. Der von Nick Humphrey identifizierte Evolutionsdruck – bei der Lösung sozialer Probleme, beim Gedankenlesen und Erahnen der Reaktionen anderer immer besser und besser zu werden – ist also auch bei Schimpansen und Pavianen bereits vorhanden. Dazu Geoffrey Miller, Psychologe an der Stanford University: »Alle Affen und
Weitere Kostenlose Bücher