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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Rostpilz.
    Die Gefährlichkeit des Rostpilzes hängt davon ab, wie gut seine fünf Schlüssel in die fünf Schlösser der Flachspflanze passen. Das Ganze verhält sich nicht hundertprozentig wie ein richtiger Schlüssel in einem richtigen Schloß, denn es genügt, wenn die beiden teilweise zueinander passen: Der Rost muß nicht jedes Schloß öffnen können, bevor er den Flachs infizieren kann. Je mehr Schlösser er jedoch öffnen kann, um so größer ist seine Angriffskraft. 39

Was Sex und Impfungen miteinander verbindet
    Nun wird es die aufmerksamen Alleswisser unter meinen Lesern schon kribbeln, denn bisher habe ich das Immunsystem unterschlagen. Der normale Weg, einer Krankheit zu begegnen, werden sie erklären, hat nichts mit Sexualität zu tun, sondern mit der Produktion von Antikörpern – durch Impfung oder wie auch immer. Das Immunsystem ist – in evolutionären Dimensionen gesehen – eine relativ neue Erfindung: Es begann vor vielleicht dreihundert Millionen Jahren bei den Reptilien.
    Frösche, Fische, Insekten, Hummer, Schnecken und Wasserflöhe haben kein Immunsystem. Trotz allem gibt es derzeit eine originelle Theorie, die das Immunsystem mit der Sexualität in einer übergreifenden Rote-Königin-Hypothese zusammenführt. Hans Bremermann von der University of California in Berkeley ist ihr Urheber. Mit faszinierenden Argumenten versucht er, die Wechselbeziehung zwischen beiden darzulegen. Das Immunsystem, erklärt er, funktioniert nicht ohne Sex. 40 Es besteht aus weißen Blutzellen, von denen es ungefähr zehn Millionen verschiedene Typen gibt. Jeder Typ besitzt ein Proteinschloß auf seiner Oberfläche, einen sogenannten Antikörper, zu dem ein Schlüssel namens Antigen auf der Oberfläche eines Bakteriums paßt. Sobald der Schlüssel im Schloß steckt, beginnt die weiße Blutzelle, sich mit irrsinniger Geschwindigkeit zu teilen, und produziert eine Armee von weißen Zellen, die den schlüsseltragenden Eindringling verschlingen – sei es nun ein Grippevirus, ein Tuberkulosebakterium oder auch Zellen eines Herztransplantats. Aber es gibt für den Körper eine Schwierigkeit: Er kann nicht von jedem Antikörperschloß eine ganze Armee vorrätig haben, um alle möglichen Schlüsseltypen auszuschalten, denn er hat zwar Platz für Millionen von Zellen eines Typs oder für je eine Zelle von einer Million verschiedener Typen, nicht aber für Millionen von Zellen in Millionen verschiedenen Ausführungen. Er hat deshalb immer nur einige wenige Kopien jeder weißen Blutzelle vorrätig. Sobald eine weiße Zelle dem Antigen begegnet, das zu ihrem Schloß paßt, beginnt sie sich zu teilen. Daher die Verzögerung zwischen dem Beginn einer Grippe und der Immunantwort, die Sie genesen läßt.
    Jedes Schloß wird durch eine Art von Zufallsgenerator geschaffen, der versucht, eine möglichst breit sortierte Bibliothek von Schlössern bereitzuhalten, selbst wenn einige der zu ihr passenden Schlüssel niemals in Parasiten gefunden wurden. Die Parasiten verändern ihre Schlüssel nämlich unablässig, um schließlich doch einen zu finden, der zu den sich ebenfalls ständig ändernden Schlössern des Wirts paßt. Das Immunsystem befindet sich daher in ständiger Bereitschaft. Eine solche Zufallsauswahl bedingt, daß unter all den vom Wirt entworfenen Zelltypen auch weiße Blutzellen entstehen, welche die Zellen des Wirts angreifen.
    Um einem solchen Angriff zu entgehen, sind die wirtseigenen Zellen mit einem Codewort ausgestattet, das man als MHC (major histocompatibility complex – zu deutsch etwa Haupthistokompatibilitätsantigene) bezeichnet. Damit wird der Angriff verhindert.
    Um den Sieg davonzutragen, muß der Parasit entweder hoffen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Immunantwort wirksam wird, einen anderen Wirt infiziert zu haben (wie die Grippeviren), sich innerhalb der Wirtszelle tarnen (wie das AIDS-Virus), seine eigenen Schlüssel häufig ändern (wie der Erreger der Malaria), oder er muß versuchen, das Codewort nachzuahmen, das die wirtseigenen Zellen tragen. Die Erreger der Bilharziose zum Beispiel schnappen Codewort-Moleküle aus Wirtszellen auf und bedecken ihre gesamte Oberfläche damit, um sich gegenüber passierenden weißen Zellen zu tarnen. Trypanosomen, die Erreger der Schlafkrankheit, ändern unablässig ihre Schlüssel, indem sie ein Gen nach dem anderen anschalten. Das AIDS-Virus ist das geschickteste von allen. Einer Theorie zufolge mutiert es ständig, so daß jede Generation über andere

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