Eros und Evolution
Utopia. Auch der liberalste Politiker unserer Tage ist von der Notwendigkeit überzeugt, das Streben ehrgeiziger Einzelpersonen zu regulieren, zu überwachen und zu besteuern, um sicherzustellen, daß sie ihren Ehrgeiz nicht ausschließlich auf Kosten anderer befriedigen. Mit den Worten von Egbert Leigh, einem Biologen des Smithsonian Tropical Research Institute: »Die menschliche Intelligenz muß die Gesellschaft erst schaffen, in der freier Wettbewerb zwischen den einzelnen Mitgliedern sich zum Nutzen des Ganzen addiert.« 4 Die Gen-Gesellschaft steht vor genau demselben Problem. Jedes Gen ist Nachfahr eines Gens, das unbeabsichtigt mit allen Mitteln gerempelt und geschoben hat, um in die nächste Generation zu gelangen. Das Zusammenwirken zwischen Genen ist intensiv – der Wettbewerb nicht minder. Und es ist dieser Wettbewerb, der in der »Erfindung« der Geschlechter gipfelte.
Als vor etlichen Milliarden Jahren Leben aus der Ursuppe hervorging, vermehrten sich jene Moleküle, die dafür sorgten, daß sie selbst – auf Kosten anderer – repliziert wurden. Dann entdeckten einige dieser Moleküle die Tugenden der Kooperation und Spezialisierung, und so begannen sie, sich zu Gruppen namens Chromosomen zusammenzutun und Maschinerien namens Zellen zu unterhalten, die in der Lage waren, diese Chromosomen effizient zu replizieren, genauso wie sich in der Menschheitsgeschichte einst kleine Gruppen von Bauern mit Schmieden und Zimmerleuten in Dörfern zu kooperativen Einheiten zusammenschlossen. Die Chromosomen entdeckten, daß verschiedene Arten von Zellen sich zu einer Superzelle zusammenschließen konnten, so wie verschiedene Dörfer sich zu größeren Einheiten verbanden. Damit hatte die Erfindung der modernen Zelle aus einem Team unterschiedlicher Bakterien stattgefunden. Die Zellen fanden sich dann zu Tieren, Pflanzen und Pilzen zusammen, riesengroßen Zusammenschlüssen von Zusammenschlüssen von Genen, genauso wie sich mehrere Dörfer zu Ländern und Länder zu Reichen zusammenfanden. 5 Nichts davon wäre möglich gewesen, hätte es nicht Gesetze gegeben, die das Allgemeinwohl über den selbstsüchtigen Trieb des einzelnen stellten – sowohl in menschlichen Gemeinschaften als auch im Verbund der Gene. Es gibt nur ein Kriterium, an dem die Qualität eines Gens meßbar ist: Es muß Ahnherr anderer Gene werden. Dies geschieht in hohem Maße auf Kosten anderer Gene, ähnlich wie ein Mann seinen Wohlstand großenteils dadurch erwirbt, daß er andere (rechtmäßig oder unrechtmäßig) dazu bringt, ihm ihre Reichtümer abzutreten. Ist ein Gen allein auf sich gestellt, dann sind alle anderen Gene seine Feinde: Jeder kämpft für sich allein. Ist das Gen Teil eines Zusammenschlusses, dann hat jedes andere Gen in diesem Verbund das gemeinsame Interesse, eine rivalisierende Gruppe zu unterwerfen, geradeso wie Angestellte ein gemeinsames Interesse am Wohlergehen ihrer Firma zu Lasten einer anderen haben.
Ähnliche Bedingungen gelten in der Welt der Viren und Bakterien. Die Parasiten sind Einwegbehälter für einfache Gen-Teams. Jedes dieser Teams steht in einem erbitterten Wettstreit mit anderen, die Mitglieder innerhalb eines Teams pflegen jedoch weitgehend harmonische Beziehungen. Aus Gründen, die Ihnen in Kürze einleuchten werden, wird diese Harmonie zerstört, wenn sich Bakterien zu Zellen und Zellen zu Organismen zusammenschließen. Mit Hilfe von Gesetzen und einer Verwaltung muß man ihr erneut Geltung verschaffen.
Auch auf bakterieller Ebene stimmt das Bild nur bedingt. Betrachten wir den Fall eines neuen, mutierten »Überflieger«-Gens, das plötzlich in einem Bakterium auftaucht. Es ist allen anderen Genen seiner Art überlegen, doch sein Schicksal hängt zum größten Teil von der Qualität seines Teams ab. Es ist so ähnlich wie bei einem hochintelligenten Ingenieur, der in einer kränkelnden kleinen Firma beschäftigt ist, oder bei einem exzellenten Leistungssportler, der zu einer zweitklassigen Mannschaft gehört. So wie der Ingenieur oder der Sportler sich nach einer neuen Stellung umsehen werden, so möchte man erwarten, haben auch diese Gene eine Möglichkeit entwickelt, sich von einem Bakterium zum anderen zu begeben. Das haben sie tatsächlich. Man nennt diesen Vorgang Konjugation, und man ist sich darüber einig, daß es sich um eine Form von Sexualität handelt. Zwei Bakterien verbinden sich über einen dünnen Schlauch miteinander, durch den sie ein paar Kopien ihrer Gene austauschen. Im
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