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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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vielleicht merkwürdigsten Aspekt aller Rote-Königin-Theorien, jenem Umstand, der sich hinter der wenig anziehenden Bezeichnung »intragenomischer Konflikt« verbirgt. Übersetzt bedeutet dies, es geht um Harmonie und Selbstsucht, um Interessenkonflikte zwischen Genen im Inneren von Organismen, um Freibeuter-Gene und um kriminelle Gene.
    Der intragenomische Konflikt »verleiht dem Evolutionsvorgang einen instabilen, interaktiven, historischen Charakter«. 3 Die fünfundsiebzigtausend Gene, die den menschlichen Körper entstehen und funktionieren lassen, befinden sich in ungefähr derselben Lage wie fünfundsiebzigtausend Einwohner einer kleinen Stadt. In nahezu derselben Weise, wie die menschliche Gesellschaft ein manchmal angespanntes Nebeneinander von freiem Unternehmertum und sozialem Zusammenwirken ist, gilt dies auch für die Aktivitäten der Gene in einem Organismus. Ohne Kooperation wäre die Stadt kein Gemeinwesen. Jedermann würde sich auf Kosten jedes anderen reich lügen, stehlen und betrügen, und sämtliche sozialen Aktivitäten – Handel, Regierung, Bildung und Sport – rieben sich bis zu einem von Mißtrauen beherrschten Stillstand auf. Ohne Kooperation zwischen den Genen könnte der von ihnen bewohnte Körper nicht dazu verwendet werden, diese Gene in die nächste Generation zu transportieren, denn der Körper entstünde gar nicht erst.
    Noch vor einer Generation hätten Biologen diesen Absatz mit großer Verblüffung zur Kenntnis genommen. Gene haben kein Bewußtsein und »entscheiden« sich nicht zur Zusammenarbeit; sie sind seelenlose Moleküle, die von chemischen Botschaften an- oder abgeschaltet werden.
    Was sie dazu bringt, in der richtigen Art und Weise zusammenzuarbeiten und einen menschlichen Körper zu schaffen, ist irgendein geheimnisvolles biochemisches Programm – keine demokratisch getroffene Entscheidung. In den letzten Jahren aber hat die von Williams, Hamilton und anderen angezettelte Revolution dazu geführt, daß mehr und mehr Biologen Gene als etwas betrachten, das aktiven und denkenden Einzelwesen vergleichbar ist. Nicht daß Gene ein Bewußtsein besäßen oder von irgendwelchen Zukunftsgedanken getrieben würden – kein ernstzunehmender Biologe glaubt so etwas. Aber die teleologische Wahrheit ist, daß die Entwicklung durch natürliche Selektion voranschreitet und daß natürliche Selektion nichts anderes bedeutet, als daß die Gene, die ihr eigenes Überleben zu sichern versuchen, eher überleben. Ein Gen ist deshalb per definitionem der Nachfahr eines Gens, das es geschafft hat, in die nächste Generation zu gelangen. Ein Gen also, das Dinge veranlaßt, durch die sein eigenes Überleben gesichert wird, kann in einer teleologischen Sichtweise als etwas bezeichnet werden, das diese Dinge tut, weil sie sein Überleben sichern. Das Zusammenwirken, durch das ein Körper geschaffen wird, ist eine ebenso wirksame Überlebens-»Strategie« für Gene, wie das Zusammenwirken am Gemeinwesen Stadt eine wirkungsvolle soziale Strategie für Menschen ist.
    Gesellschaft besteht aber nicht nur aus Kooperation. Ein gerüttelt Maß an wettbewerbsorientiertem freiem Unternehmertum ist unumgänglich. Ein gigantisches Experiment namens Kommunismus in einem Labor namens Sowjetunion hat dies deutlich gemacht. Die einfache und wunderbare Vorstellung, die Gesellschaft ließe sich auf der Grundlage des Prinzips »Jeder nach seinen Fähigkeiten« organisieren, hat sich als katastrophal unrealistisch erwiesen, da der einzelne nicht einsehen konnte, weshalb er bei einer nicht leistungsbezogenen Bezahlung seine Kräfte voll ausschöpfen sollte. Ein aufgezwungenes Zusammenwirken kommunistischer Prägung ist durch die eigennützigen Interessen einzelner ebenso verwundbar wie der freie Wettbewerb auch. Wenn also die Wirkung eines Gens darin bestünde, das Überleben eines Organismus zu sichern, und wenn es dabei dessen Fortpflanzung verhinderte beziehungsweise im Falle der Paarung selbst nie weitergegeben würde, dann stürbe dieses Gen aus und würde wirkungslos.
    Das richtige Gleichgewicht zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit zu finden war über Jahrhunderte hinweg Ziel und Verhängnis westlicher Politik. Adam Smith erkannte, daß man den wirtschaftlichen Interessen des einzelnen besser gerecht wird, wenn man dem Ehrgeiz aller keine Schranken auferlegt, als wenn man versucht, dessen Bedürfnissen im voraus zu begegnen. Doch nicht einmal Adam Smith konnte behaupten, die freie Marktwirtschaft schaffe ein

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