Eros und Evolution
Gegensatz zur Sexualität im eigentlichen Sinne hat dieser Vorgang mit Fortpflanzung nichts zu tun und stellt zudem ein seltenes Ereignis dar. In jeder anderen Hinsicht aber ist es ein sexueller Vorgang: Es ist ein genetischer Austausch.
Donald Hickey von der University of Ottawa und Michael Rose von der University of California in Irvine vertraten als erste zu Beginn der achtziger Jahre die Ansicht, »Bakteriensex« sei nicht der Bakterien wegen erfunden worden, sondern der Gene wegen – nicht der Mannschaft wegen, sondern der Spieler wegen. 6 Der Fall eines Gens also, das – auf Kosten seiner Mannschaftskollegen – eigennützigen Interessen gehorcht: Es verläßt die Kollegen zugunsten einer besseren Mannschaft. Die Theorie von Hickey erklärt nicht hinreichend, warum Sexualität im Pflanzen- und Tierreich so ungemein verbreitet ist; sie konkurriert nicht mit den bisher diskutierten Theorien. Aber sie liefert Hinweise dafür, wie alles begonnen hat, Hinweise zum Ursprung der Sexualität.
Vom Standpunkt eines einzelnen Gens aus betrachtet, ist Sexualität somit eine Methode der horizontalen und der vertikalen Ausbreitung.
Wenn also ein Gen seinen Träger zur Sexualität veranlassen könnte, vollbrächte es etwas zu seinem eigenen Vorteil (genauer gesagt, es würde die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, Nachfahren zu hinterlassen), selbst dann, wenn dies auf Kosten des einzelnen ginge. Genauso wie das Tollwutvirus einen Hund dazu bringt, alles und jeden zu beißen, und somit den Hund benutzt, um seine eigene Ausbreitung auf andere Hunde zu gewährleisten, könnte ein Gen seinen Träger zu sexuellen Beziehungen veranlassen, um sicherzustellen, daß es in eine andere Keimbahn gelangt.
Hickey und Rose fasziniert vor allem eine besondere Klasse von Genen, die als Transposons oder »springende« Gene bezeichnet werden. Diese sind offenbar in der Lage, sich selbst aus Chromosomen herauszuschneiden und in andere Chromosomen einzuflicken. In den achtziger Jahren gelangten zwei Gruppen von Wissenschaftlern gleichzeitig zu dem Schluß, Transposons seien offenbar Beispiele »egoistischer« oder parasitärer DNA, die Kopien ihrer selbst auf Kosten anderer Gene verbreitet. Statt zu fragen, ob Transposons vorteilhaft für den Organismus sind, nahmen sie es als gegeben hin, daß deren Existenz zwar schlecht für den Organismus ist, aber gut für die Transposons selbst. 7 Gangster und Kriminelle existieren schließlich auch nicht zum Nutzen der Gesellschaft, sondern zu deren Schaden und zu ihrem eigenen Nutzen.
Vielleicht sind Transposons, um mit Richard Dawkins zu sprechen, »kriminelle Gene«. Hickey fiel auf, daß Transposons bei Organismen, die sich durch Exogamie { * } sexuell vermehren, sehr viel häufiger sind als bei Organismen, bei denen es zur Inzucht kommt, oder bei solchen, die sich asexuell vermehren. Er zog zur Beurteilung dessen einige mathematische Modelle heran, aus denen deutlich wurde, daß parasitäre Gene auch dann im Vorteil sind, wenn sie ihrem Träger Nachteile bringen. Solche Gene befinden sich auf Plasmiden (kleinen, vom Kerngenom abgetrennt vorliegenden, ringförmigen DNA-Stücken), und es stellte sich heraus, daß solche Plasmide in Bakterien tatsächlich den Vorgang der Konjugation, durch den sie sich ausbreiten, selbst auslösen. Sie verhalten sich genau wie das Tollwutvirus, das Hunde dazu veranlaßt, einander zu beißen. Die Linie zwischen einem kriminellen Gen und einem infektiösen Virus beginnt zu verschwimmen. 8
Abel hat keine Nachfahren
Von solchen kleineren Aufständen einmal abgesehen, geht es in der Bakterien-Mannschaft relativ friedlich zu. Selbst in einem komplizierteren Organismus wie dem einer Amöbe, die irgendwann in grauer Vorzeit aus dem Zusammenschluß archaischer Bakterien entstanden ist 9 , gibt es nur wenige Konflikte zwischen dem gemeinsamen Interesse der Mannschaft und den Interessen der Mitglieder. In komplizierteren Organismen aber haben Gene weit mehr Möglichkeiten, ihr eigenes Wohlergehen zu Lasten anderer zu sichern.
In tierischen und pflanzlichen Genomen gibt es, wie sich herausgestellt hat, Meutereien. In einigen weiblichen Mehlwürmern existiert ein Gen namens Medea, das dafür sorgt, daß nur Nachkommen überleben, in denen es vorhanden ist 10 : Als lockte das Gen alle Nachkommen des Weibchens in eine Falle, aus der nur jene freikommen, die es in sich tragen.
Es gibt komplett egoistische Chromosomen, sogenannte B-Chromosomen, die nichts anderes tun, als
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