Eros und Evolution
definiert man das Geschlecht, das Spermien oder Pollen produziert: kleine bewegliche Gameten in großer Zahl. Das weibliche Geschlecht produziert wenige große, unbewegliche Gameten, die Eizellen. Doch Größe ist nicht der einzige Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gameten. Ein weit bedeutsamerer Unterschied ist darin zu sehen, daß es einige Gene gibt, die ausschließlich von der Mutter stammen. Im Jahre 1981 schrieben zwei Harvard-Wissenschaftler, Leda Cosmides und John Tooby, deren Scharfsinn wir im Verlaufe des Buches noch mehrere Male bewundern können, die Chronik einer noch ehrgeizigeren genetischen Rebellion gegen das Gen-Parlament, einer Rebellion, die Pflanzen und Tieren seltsame neue Richtungen weisen und in der Erfindung zweier Geschlechter gipfeln sollte. 20
Bis jetzt habe ich alle Gene bezüglich ihres Vererbungsmusters als ähnlich betrachtet. Doch das ist nicht ganz richtig. Wenn ein Spermium ein Ei befruchtet, dann stellt es dem Ei nur eines zur Verfügung: einen Sack voll Gene, seinen Zellkern. Der Rest bleibt draußen.
Doch auch ein paar väterliche Gene bleiben damit ausgeschlossen, denn diese befinden sich nicht im Kern, sondern in kleinen Strukturen, die man als Organellen bezeichnet. Hiervon sind insbesondere zwei Arten von Bedeutung: die Mitochondrien, die mit Hilfe von Sauerstoff Energie aus Nährstoffen herstellen, und (in Pflanzen) die Chloroplasten, die mit Hilfe von Sonnenenergie diese Nährstoffe aus Luft und Wasser produzieren. Die Organellen sind mit sehr großer Sicherheit die Nachfahren von Bakterien, die einst in Zellen gelebt haben und von diesen »gezähmt« wurden, weil ihre biochemischen Fertigkeiten der Wirtszelle von großem Nutzen waren. Als Nachfahren frei lebender Bakterien brachten sie ihre eigenen Gene mit, und auch heute noch haben sie eine Menge davon. Menschliche Mitochondrien zum Beispiel besitzen siebenunddreißig eigene Gene. Wenn man fragt: »Weshalb gibt es zwei Geschlechter?«, dann fragt man gleichzeitig auch: »Weshalb gibt es Organellen-Gene, die nur mütterlicherseits vererbt werden?« 21 Warum ist den Organellen der Spermien der Zutritt zum Ei verwehrt? Die Evolution scheint sogar außerordentlich weit gegangen zu sein in ihrem Bestreben, väterliche Organellen aus Eizellen auszuschließen. Bei Pflanzen verhindert eine extreme Verengung, daß väterliche Organellen in den Pollenschlauch gelangen. Bei Tieren wird das Spermium beim Eintritt ins Ei mehr oder weniger »entkleidet«, um die Organellen zu entfernen. Warum? Die Antwort findet sich bei einer Ausnahme von dieser Regel: einer Alge namens Chlamydomonas, die zwei Geschlechter mit der Bezeichnung Plus und Minus besitzt, statt in männlicher und weiblicher Form aufzutreten. Bei dieser Art führen die Chloroplasten beider Elternteile eine Art Zermürbungskrieg, in dessen Verlauf neunundneunzig Prozent von ihnen getötet werden. Die verbleibenden fünf Prozent stammen aus dem Plus-Elternteil, der die Minus-Organellen durch seine zahlenmäßige Überlegenheit aus dem Feld schlägt. 22 Dieser Krieg schwächt die ganze Zelle. Die Gene des Zellkerns sehen mit derselben dunklen Vorahnung zu, die auch den Prinzen in Romeo und Julia angesichts des Krieges zwischen zweien seiner Gefolgsleute beschleicht:
Aufrührische Vasallen, Friedensfeinde
Die ihr den Stahl mit Nachbarblut entweiht!
Wollt Ihr nicht hören? Männer, wilde Tiere,
Die ihr die Flammen Eurer schnöden Wut
Im Purpurquell aus Euren Adern löscht!
Zu Boden werft, bei Buß an Leib und Leben,
Die mißgestählte Wehr aus blutger Hand!
Hört eures ungehaltnen Fürsten Spruch!
Drei Bürgerzwiste haben dreimal nun,
Aus einem luftgen Wort von euch erzeugt,
Du alter Capulet und Montague,
Den Frieden unserer Straßen schon gebrochen.
… Verstört ihr jemals wieder unsre Stadt,
So zahl euer Leben mir den Friedensbruch.
Romeo und Julia, 1. Akt, 1. Szene
Wie der Prinz nur zu bald erkennen muß, reicht selbst die Androhung einer solch schweren Strafe nicht aus, den Streit zu unterbinden. Wäre er dem Beispiel der Gene im Zellkern gefolgt, hätte er alle Montagues töten lassen. Die Kern-Gene von Mutter und Vater einigen sich darauf, alle männlichen Organellen ermorden zu lassen. Es bietet also einen Vorteil (für die männlichen Kern-Gene, nicht für die männlichen Organellen), dem Typ anzugehören, dessen Organellen vernichtet werden, so daß lebensfähige Nachkommen entstehen können. Die Träger folgsamer Organellen mit
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