Eros und Evolution
ihr auch nicht seine Kranken-Akte, sondern erwähnt beiläufig, er laufe zwanzig Kilometer in der Woche und sei nie erkältet. Er erzählt ihr nichts über seine Schulabschlüsse, sondern beeindruckt sie durch seinen Witz. Er erbringt keinen Nachweis für seine Umsicht, sondern er schickt ihr einen Strauß roter Rosen zum Geburtstag. Jede dieser Gesten birgt eine Mitteilung in sich: Ich bin reich, ich bin fit, ich bin gescheit, ich bin nett.
Doch die Information wird verpackt, um wirkungsvoller und verlockender zu erscheinen – in der gleichen Weise, wie die Aufforderung »Kaufen Sie unsere Eiscreme« auf sich aufmerksam macht, wenn sie von den Bildern zweier gutaussehender Menschen begleitet wird, die miteinander flirten.
Sowohl beim Flirt als auch in der Werbebranche gibt es eine Interessenkluft zwischen Käufer und Verkäufer. Die Frau muß die Wahrheit über den Mann in Erfahrung bringen: seinen Gesundheitszustand, seine Finanzen, seine Gene. Der Mann will übertreiben und die Information verzerren. Die Frau fordert die Wahrheit, der Mann liefert Lüge.
Allein das Wort Verführung beinhaltet bereits Lug und Betrug. 51 Verführung wird damit zu einem klassischen Rote-Königin-Wettstreit – diesmal tobt er allerdings zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht und nicht zwischen Wirt und Parasit. Zahavis Handicap-Theorie würde in Hamiltons und Zuks Deutung voraussagen, daß Ehrlichkeit am längsten währt und daß aufschneiderische und betrügerische Männchen irgendwann entlarvt werden, weil nämlich das Weibchen das Handicap nur aus dem Grunde als Auswahlkriterium wählt, weil es den Gesundheitszustand des Männchens offenbart.
Das Bankivahuhn ist der wilde Vetter unseres Haushuhns. Genau wie ein richtiger Gockel auf dem Bauernhof ist auch der Bankivahahn mit einer Reihe von Ornamenten versehen, die seine Partnerinnen nicht haben: lange gebogene Schwanzfedern, eine helle Halskrause und, das augenfälligste, ein roter Kamm auf dem Kopf. Marlene Zuk hatte sich vorgenommen, festzustellen, welches von diesen Merkmalen für die Hennen am bedeutsamsten ist. Sie präsentierte sexuell empfänglichen Hennen zwei Männchen und beobachtete, welches davon sie auswählten. In manchen Versuchen war eines der Männchen von Würmern befallen, die Gefieder, Schnabel und Beine kaum in Mitleidenschaft zogen, doch die Infektion schlug sich deutlich in der Beschaffenheit von Kamm und Augen nieder, die beide weniger stark gefärbt waren als bei normalen Männchen. Zuk stellte fest, daß die Hennen Hähne mit gesundem Kamm und gesunden Augen bevorzugten, auf das Gefieder jedoch weniger Wert legten. Für Männchen mit falschen roten Plastikkämmen konnten sich die Hennen allerdings nicht begeistern, diese schienen ihnen offenbar doch zu seltsam zu sein. Dennoch war klargeworden, daß die Hennen den größten Wert auf das Merkmal legten, das die meisten Rückschlüsse auf die Gesundheit eines Hahns zuließ. 52 Zuk wußte, daß auch Geflügelzüchter Kamm und Kehllappen eines Hahns zur Beurteilung seiner Gesundheit heranziehen. Es faszinierte sie, daß die Kehllappen ein »ehrlicheres« Merkmal für den Zustand eines Gockels sein sollten als das Gefieder. Viele Vögel, insbesondere Mitglieder der Fasanenfamilie, tragen im Kopfbereich Anhänge, die sie während der Balz betont präsentieren: Truthähne haben oberhalb des Schnabels lange Hautlappen, Fasanen haben rote Haut-»Rosen«, Beifußhühner verfügen über Luftsäcke, Satyrhühner besitzen aufblasbare stahlblaue Kehlsäcke am Hals.
Die Rotfärbung von Kamm und Kehllappen eines Hahns kommt durch Karotinpigmente zustande. Auch Guppymännchen, Hausfinken und Flamingos verdanken Karotinoiden ihre Farbe. Die Besonderheit ist dabei, daß Vögel und Fische diese Verbindungen nicht selbst in ihren Geweben herstellen können, sie extrahieren sie aus der Nahrung – aus Früchten, Muscheln, Pflanzen oder Wirbellosen. Ihre Fähigkeit, Karotinoide aus der Nahrung zu gewinnen und an die verschiedenen Körpergewebe weiterzuleiten, wird allerdings durch bestimmte Parasiten sehr stark beeinträchtigt. Ein an Kokzidiose erkrankter Hahn zum Beispiel sammelt weit weniger Karotinoide in seinem Kamm an als ein gesunder – selbst dann, wenn beiden Tieren dieselbe Menge an Karotinoiden mit der Nahrung verabreicht wurde. Niemand weiß genau, warum die Parasiten diesen speziellen Effekt haben, er scheint jedoch unumgänglich und ist daher für die Weibchen ausgesprochen nützlich: Die
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