Eros und Evolution
dieser Federn geschwunden ist: Pfauenfedern sind schließlich auch dann noch von unveränderter Farbenpracht, wenn ihr Besitzer längst tot und ausgestopft ist. So gesehen verwundert es nicht, daß die meisten Vogelmännchen sich nicht unmittelbar vor der Brutsaison mausern, sondern ihr Frühlingskleid bereits im Herbst zuvor bekommen. Somit müssen sie es den ganzen Winter über in Ordnung halten. Allein die Tatsache, daß ein Männchen sechs Monate lang sein Gefieder zu pflegen imstande war, sagt dem Weibchen etwas über die Beständigkeit seiner Vitalität. Bill Hamilton bemerkt dazu, daß zum Beispiel weiße Federn am Bürzel, wie man sie bei vielen Hühnervögeln findet, besonders schwer reinzuhalten sind, wenn der Vogel unter parasitärem Durchfall leidet. 60
Zahavi war fest davon überzeugt, daß Ehrlichkeit eine Grundeigenschaft von Handicaps sein muß. Seiner Ansicht nach muß ein Ornament kostspielig sein, um ehrlich sein zu können; andernfalls könnte es in betrügerischer Absicht eingesetzt werden. Einem Hirsch kann kein mächtiges Geweih wachsen, ohne daß er das Fünffache seiner normalen täglichen Kalziumdosis zu sich nimmt; ein Doktorfisch kann nur dann von schillerndem Blau sein, wenn er sich in sehr gutem Zustand befindet – eine Tatsache, die er im Kampf mit anderen Männchen beweisen muß.
Von der Annahme ausgehend, daß jeder, der die Regeln mißachtet und kein ehrliches Signal präsentiert, irgend etwas zu verbergen hat, werden die Männchen zu ehrlichen Balzsignalen gezwungen. Balzornamente sind daher Beispiele für die Forderung nach »ehrlicher Vermarktung«. 61 All das klingt sehr logisch, doch ungefähr im Jahre 1990 wurde es einer Gruppe von Biologen bei dieser Vorstellung unbehaglich. Daß sexuelle Selektion etwas mit Wahrheit zu tun haben könnte, mochten sie nicht glauben, denn schließlich wußten sie, daß auch Fernsehwerbung mit Wahrheit überhaupt nichts zu tun hat – sie will den Betrachter manipulieren.
Die ersten und wortgewaltigsten Verfechter dieser Ansicht waren zwei Biologen aus Oxford: Richard Dawkins und John Krebs. Ihnen zufolge singt ein Nachtigallenmännchen nicht, um potentiellen Partnerinnen Information über sich zukommen zu lassen – es singt, um sie zu verführen.
Und wenn die Taktik es erfordert, hinsichtlich seiner wahren Kräfte zu schwindeln – was soll’s. 62
In einem sehr vereinfachten Sinne kann man sagen, daß Eiscremewerbung ehrlich ist: Sie verrät den Namen der Marke. Nicht ehrlich aber ist es, wenn sie durchblicken läßt, daß es nach jedem Löffel Eiscreme mit Sicherheit zu irgendwelchen erotischen Erlebnissen kommt. Eine solch dreiste Lüge könnte von dem großen Genie im Tierreich, dem Menschen, garantiert mit Leichtigkeit durchschaut werden. Wird sie aber nicht. Werbung funktioniert. Markennamen, die mit irgendwelchen erotischen oder aufreizenden Bildern in Zusammenhang gebracht werden, sind bekannter, und was bekannt ist, verkauft sich besser. Warum funktioniert das? Deshalb, weil der Preis, den der Verbraucher zahlen müßte, um die verborgene Botschaft zu ignorieren, einfach zu hoch ist. Man läßt sich besser narren und kauft die zweitbeste Eiscreme, als daß man sich mühsam selbst die Fähigkeit anerzieht, Verkäufern zu widerstehen.
Jede Pfauenhenne, die diese Zeilen liest, beginnt möglicherweise, ihr Dilemma zu erkennen. Denn auch sie wird unter Umständen durch das männliche Balzverhalten erfolgreich dazu verleitet, das zweitbeste Männchen zu wählen. Erinnern Sie sich: Das Arenabalz-Paradoxon geht davon aus, daß die Auswahlmöglichkeiten nicht sehr groß sind, stammen doch alle verfügbaren Männchen von wenigen Vätern der vorigen Generation ab. Damit leiten sich offenbar aus zwei gegensätzlichen Hypothesen – ehrliche Vermarktung und unehrliche Manipulation – gegensätzliche Schlüsse ab. Die Hypothese von der ehrlichen Vermarktung führt zu dem Schluß, daß Weibchen einen betrügerischen Verführer erkennen; die These von der unehrlichen Manipulation führt zu dem Schluß, daß Männchen die Weibchen wider deren besseres Wissen verführen.
Warum haben junge Frauen eine schlanke Taille?
Marian Dawkins und Tim Guilford aus Oxford haben vor kurzem eine mögliche Lösung für dieses Dilemma vorgestellt. Solange es das Weibchen etwas kostet, die Unehrlichkeit in einem Signal zu erkennen, ist es ihr den Aufwand möglicherweise nicht wert. Anders ausgedrückt: Wenn sie ihr Leben riskieren muß, um viele Männchen zu
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