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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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sie. Wir bleiben heut nacht hier.«
    »Dann muß ich aber das Licht löschen.«
    »Nein. Bleib. Ich hab die letzte Flasche Petrus aufgemacht. Trink
mit mir.«
    »Davon wird mir immer so schwindelig.«
    »Trink! Trink mit mir! Bitte …« Er schenkte ihr ein Glas ein. Dann
mußte ich husten, mein Vater schrak hoch, ich rannte schnell die Treppe hinauf,
warf mich in mein Bett. Ich hörte Schritte vor der Zimmertür, aber niemand kam
herein, die Schritte entfernten sich wieder. Ich sprang aus dem Bett, zog mir
ein paar Sachen an, damit ich keine Erkältung bekam, die Sirenen änderten ihr
Geheule, ich rüttelte am Türknauf. Das Zimmer, mein Zimmer war verschlossen.
Von außen verschlossen.
    Nie war das vorgekommen, nie. Und schon gar nicht bei Luftalarm.
Panik überkam mich. Ich zog mir feste Schuhe an, die einzigen, die ich in
meinem Zimmer aufbewahrte, weiße Tennisschuhe, schob das Fenster auf, sah
hinunter, zögerte, minutenlang, dann sprang ich endlich in den Schnee.
    Durchs Fenster sah es ganz friedlich aus, unten im Salon. Meine
Eltern redeten miteinander, ich konnte nicht verstehen, was, konnte es auch
nicht von ihren Lippen lesen, aber es machte den Eindruck einer leisen,
liebevollen Konversation. Dann kippte Mama um, das war an sich nichts
Besonderes, einer ihrer üblichen Ohnmachtsanfälle eben, und mein Vater gibt ihr
einen Kuß, läßt sie dann liegen, geht mit der halbvollen Flasche die große
Treppe nach oben. Ich stehe da, frierend, vor der hell erleuchteten Villa und
weiß nicht, was oben geschieht, unterdrücke einen Schrei, will losrennen,
einfach losrennen. Aufs Land, zu Sofie. Aber es geht nicht. Etwas ruft nach
mir, doch keine vernehmliche Stimme, etwas in meinem Kopf, und der Wind pfeift,
meine Tennisschuhe werden feucht und kalt, ich gehe näher ans Haus, die Tür des
Wintergartens steht angelehnt, ich laufe hinein. Im angrenzenden Salon liegt
Mama. Sie bewegt sich nicht, als ich an ihr zerre, nicht einmal als ich sie
schüttle und schlage. Jetzt sind von Norden her Einschläge zu hören. Ich renne
die Treppe hinauf, vorbei an Dürer, vorbei an den Fotografien glücklicher
Zeiten, die Blicke der Menschen auf den Bildern bohren sich in mich, obgleich
objektiv gar keine Zeit ist, dergleichen wahrzunehmen, so schnell bin ich
gerannt. Beide Türen zu den Kinderzimmern stehen offen. Meine Schwestern liegen
beide nebeneinander im Bett, die Arme über der Brust gekreuzt. Es ist ein
unwirklicher Anblick. Von ferne höre ich meinen Namen rufen, es ist mein Vater,
von draußen, aus dem Garten. Ein lautes, verzweifeltes Rufen.
    »Alexander!«
    Ich lief hinunter in die Bibliothek. Verbarg mich hinter der Vitrine
mit den Erstausgaben. Schritte auf der großen Treppe. Ich in den Garten. Laufe
von Busch zu Busch, geduckt.
    »Alexander!«
    Die Haustür stand offen. Was für ein prächtiges Gebäude, so hell
erleuchtet in der Nacht. Mein Vater steht in der Haustür, keucht, blickt sich
um, sucht mich, den verlorenen Sohn. Ganz in der Nähe ein Einschlag, eine
Splitterbombe, im Wintergarten zerbirst Glas. Mein Vater taumelt durchs
Erdgeschoß, ich sehe ihn taumeln, von Fenster zu Fenster, die Flasche Rotwein
in der Hand. Er tritt noch einmal vor die Tür, schreit in den Garten hinaus.
    »Alexander! Ich liebe dich! Alexander! Wo bist du denn?« Er hatte
sich verletzt, strich sich Blut aus der Stirn. Eine Serie von Einschlägen, alle
in unserem Viertel. Das Haus fängt Feuer. Heftige Explosionen erleuchten den
Horizont. Ein paar wenige am Himmel umherirrende Scheinwerferkegel. Ich hocke
hinter meinem Busch und pinkle, fühle mich wehrlos, muß pinkeln. Papa wankt in
den Garten, stapft durch den Schnee, auf mich zu, obwohl er mich wahrscheinlich
nicht sieht. Als er mir zu nahe kommt, renne ich weg, hinters Haus.
    »Sohn! Bleib hier!« Nicht das ganze Haus brannte, nur die
Bibliothek. Von dort breitete sich das Feuer langsam aus. Nicht rasend schnell,
sondern langsam, eigenartig langsam. Es blies ein heftiger Wind in dieser
Nacht. Meine Mutter lag da, und ihr Gesicht, ihr Gesicht war weiß, strahlend
weiß, und schien sich abzufinden mit dem, was war. Weil es eben sei, wie es
sei. Ich spürte den Atem meines Vaters im Nacken. Rannte vor ihm weg, die große
Treppe hinauf, in mein Zimmer, sprang von dort zum zweiten Mal in den Garten,
rannte zum Pavillon. Es war mir ein Bedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben,
und wenn es nur das des Pavillons war. Das gesamte Erdgeschoß des Eispalastes
stand nun in Flammen. Es

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