Eros
Frauen,
kluge und schöne, kaufte Männer, skrupellose und schweigsame. Führte Buch über
mein so anwachsendes Heer, notierte von jedem Vorzüge und Nachteile, Risiken
und Verdienste, prognostizierte für jeden, als wäre er eine Aktie, Wertzuwachs
oder -minderung. Viele wußten nicht, daß ihr Name in meinem Büchern abgeheftet
lag, andere waren sich nicht bewußt über den Zeitpunkt, da sie von mir
rekrutiert worden waren, und ahnten doch, daß es so sei. Was machen Sie für ein
Gesicht? Als fühlten Sie sich angesprochen. Bei Ihnen liegt der Fall ganz
anders. Zu Ihnen bin ich offen, wir haben ein klares Geschäft, wir beide, daran
ist nichts ehrenrührig.«
»Ich habe kein Gesicht gemacht.«
»Ja. Vielleicht ist es das.«
April 51
Birgit hat Sofie endlich einmal mitgenommen in den Zirkel, den berüchtigten Debattierclub der linken Szene Wuppertal, hochtrabend Zentrum für
politische Bildung genannt, ein Bierkeller in der Vorstadt, der
samstagnachmittags politische Erziehung für jene Studenten bietet, die mit dem
Angebot der Universität nicht einverstanden sind. Wer diese Nachmittage
finanziert, ist nicht ganz klar, vermutlich die KPD, was den kapitalistisch
orientierten Wirt nicht kümmert, solange ausreichend Getränke konsumiert
werden.
Sofie fühlt sich allzusehr als Gast in einer fremden Welt, sitzt mit
Birgit verschüchtert in der letzten Reihe, und jede Frage, die es sie zu
stellen drängt, kommt ihr so dumm vor, daß sie lieber schweigt. Vorne hält eine
Rednerin mit schneidiger Stimme einen Vortrag über Spätkapitalismus und
drohenden Weltbankrott. Die KPD, zu jener Zeit im Bundestag vertreten,
beschwört das Gespenst einer drohenden Remilitarisierung der Bundesrepublik und
plädiert für eine enge Anbindung an den Osten. Bietet talentierten Studenten
eine Karriere im Sozialismus. Es herrscht eine agitatorische, seltsam
disziplinierte Atmosphäre, die eher einer Schulung gleicht, als einer freien
Debatte. Das Wort Weltfrieden fällt derart oft, daß allen Teilnehmern eine Wichtigkeit suggeriert wird, die
manche geradezu gierig auf sich beziehen. Bisweilen werden Lehrfilme gezeigt
über vorbildliche Betriebe bzw. Produktionsgenossenschaften, mit glücklichen
Arbeitern und sinnerfüllten Akademikern, Kämpfern der Stirn und der Faust.
Sofie, Kindergärtnerin in der Ausbildung, kann nicht unbedingt erkennen,
weshalb sie im Osten eine nützlichere Kindergärtnerin wäre als hier. Im
Gegenteil. Der Westen hat Kindergärtnerinnen, die den Kindern eine
sozialistische Weltsicht mitgeben, sehr nötig. Insofern Sofie Lust hätte,
Kindergärtnerin zu bleiben. Sie will sich verbessern, möchte so gebildet sein
wie Birgit, möchte studieren, nur hat sie der Krieg mit einem Realschulabschluß
gestraft, der ihrer Intelligenz, ihrem Ehrgeiz, nicht angemessen ist. Ob die
DDR talentierten Kindergärtnerinnen den zweiten Bildungsweg zum Abitur
anbietet, scheint eher unwahrscheinlich, dahinlautende Anfragen werden vom
kommunistischen Ortsverband äußerst vage beantwortet.
Die Rednerin beendet ihren Vortrag mit der Hoffnung, daß die
Großdemonstration am 1. Mai in Köln von jedem hier als Pflichtveranstaltung
betrachtet werden möge. In diesem Moment reißt Rolf Schnitgerhans, der der mit
siebzig Menschen gut ausgelasteten Veranstaltung nur stehend beiwohnen konnte,
ein Blatt aus seinem kleinen Zeichenblock und reicht es nach vorne. Darauf zu
erkennen sind, recht gekonnt, die Rückenansichten von Birgit und Sofie. Birgit
nimmt ihm das Blatt aus der Hand, dreht sich um.
Rolf trägt eine schwarze Hornbrille, die ihn keineswegs entstellt.
Ein sportlicher, braungelockter Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren. Sein
weißer Rollkragenpullover unter dem beigefarbenen Cordsacco läßt auf eher
gediegene, gutbürgerliche Herkunft schließen. Er grinst, freundlich-dreist, und
weil er, gezielte Taktik, beide Frauen gleichermaßen anspricht, fühlt sich
weder die eine noch die andere verpflichtet, ihm sogleich eine Abfuhr zu geben.
Man lernt sich kennen. Steckt sich Zigaretten an, gibt einander die Hand,
stellt sich vor.
»Rolf. Rolf Schnitgerhans.«
»Birgit Kramer.«
»Sofie. Auch Kramer.«
»Also Schwestern?«
»Halb. Sof ist von meinen Eltern adoptiert worden.«
Sofie schnaubt leise. Kann es ganz und gar nicht leiden, Sof genannt
zu werden. Ihren ohnehin nie ausgeprägten bayerischen Akzent hat sie abgelegt.
Rolf beugt sich vor, guckt sich die eine Frau an, dann die andere, wie man
nacheinander zwei Edelsteine
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