Eros
Meine Nahrung bereitete ich mir selbst zu. Machte
unten im Ort den Führerschein und kaufte einen gebrauchten Sportwagen, parkte
ihn im nahen Wald, um mich damit gegebenenfalls in Sicherheit zu bringen. Das
mag alles paranoid klingen, damals fand ich es apatschenhaft schlau und
vernünftig. Ich dachte wie ein kleiner Junge, der zuviele Abenteuerromane
gelesen hat. Aber was ich genau wie wann und wo dachte, das behielt ich streng
für mich. Vorerst wenigstens. Ich lebte in Todesangst, spätestens seit Dr.
Fichtner mir anvertraut hatte, um welche Summen der alte Keferloher meine
Familie seit Jahren betrog. Die Beweise reichten vielleicht nicht aus, um polizeilich
gegen ihn vorzugehen, das hätte ich auch nie gewagt, dazu war ich weder alt
noch erfahren genug. Immerhin – die Zeit war auf meiner Seite. Ich konnte mich
endlich um das kümmern, was mir wichtig war.
Lukian wurde in Sachen Eros mein, wie soll man’s nennen, Assistent?
Generalbevollmächtigter? Spion? Einmal die Woche kam er mit dem Motorrad von
München zu mir, meist ohne Wissen seines Vaters. Und immer stellte ich ihm
dieselbe Frage. Ob
er über Sofie etwas herausbekommen habe.
Jedesmal schüttelte er den Kopf. Vielleicht habe sie geheiratet,
meinte er, eine Sofie Kurtz sei nirgends zu finden, auf keinem
Einwohnermeldeamt, er habe Hunderte Rundbriefe verschickt, alle seien negativ
beanwortet worden. Vielleicht sei sie ja tot oder habe das Land verlassen.
Lebende Verwandte seien nicht zu finden gewesen.
Sofie war spurlos verschwunden. Sie werden sich fragen, warum mich
das gekümmert hat, wie und warum der Wahnsinn begann. Es gibt darauf keine
befriedigende Antwort.
Höchstens die, daß in meinem Leben nichts jemals schön gewesen war,
außer Sofie, sie war mehr gewesen als nur irgendein Mädchen, sie war die
einzige Emanation einer höheren Ästhetik. Etwas, das ich haben, genießen, aber
nie, aus heutiger Sicht ist mir das klar, durch plumpen Besitz entweihen wollte.
Obwohl … Quatsch. Damals wollte ich sie durchaus – nennen Sie’s besitzen,
benutzen, berühren, bewältigen – vermeiden Sie bitte das Wort ficken, mir zuliebe. Nicht aus Prüderie, iwo, es käme da und dort vielleicht sogar
passend, wäre jedoch dem Gesamtphänomen nicht angemessen, weil zu profan. Ja?
Ich wollte, daß Lukian die Einwohnermeldeämter nochmal
durchforstete, und zwar jedes in jedem verdammten Winkel der Republik. Er
sollte zu diesem Zweck ein paar Leute anstellen; es gab auf den Straßen genügend
dankbare Kräfte, die keine schwere Arbeit verrichten, aber mit einer
Schreibmaschine oder einem Telefon umgehen konnten. Wenn das zu keinem Ergebnis
führen würde, wären die Standesämter dran.
Heutzutage wäre eine solche Recherche dank der Computer keine große
Sache, damals war es eine Herkulesaufgabe, kaum vorstellbar. Aber ich hatte das
Glück, daß Lukian Spaß bekam an der Suche und Eigenschaften besaß wie
Zähigkeit, Fleiß, Gewissenhaftigkeit – und Organisationstalent. Er wurde mir
sympathisch und unverzichtbar, wurde mein, wie sag ich’s: Mitstreiter. Sollte
Sofie tatsächlich geheiratet haben, wollte ich das wissen. Wenn sie tot war,
bestand die Möglichkeit, daß ich es nie erfahren würde. Das machte mir mehr zu
schaffen, als es selbst die absolute Gewißheit ihres Todes getan hätte.
Wir befragten einige ihrer ehemaligen Kameradinnen aus der
Landverschickung. Alle konnten sich an Sofie erinnern. Keine wußte etwas über
ihren Verbleib. Mit dem Ende des Krieges habe sie das Dorf im Allgäu auf eigene
Faust verlassen. Immerhin – den Krieg hatte sie also überlebt. Es gab ein
Mädchen, das war erst siebzehn, kann gut sein, daß es sich nur wichtig machen
wollte, aber dieses eine Mädchen behauptete, sie noch einmal von ferne gesehen
zu haben, auf dem Bahnsteig in München vor einem Zug nach Frankfurt, in
Begleitung eines amerikanischen Soldaten. Ganz sicher zu sein, behauptete das
Mädchen nicht, eben deshalb nahm ich die Aussage ernst. Wie schlug sie mir aufs
Gemüt! War Sofie wirklich eine Amibraut geworden? Würde ich sie in den Staaten
jemals wiederfinden? Hätte sich das Mädchen wenigstens an den Rang jenes
Soldaten erinnert! Aber trotz zweihundert Mark in bar erinnerte sie sich nicht,
das sprach für ihre Lauterkeit.
Februar 51
»Ich werde dir das nie vergessen, Luki. Daß du dich für
mich entschieden hast.«
Er wurde verlegen und sah zu Boden. Was er später einmal werden
wolle, fragte ich.
Lukian zuckte nur mit den Achseln. Wir waren
Weitere Kostenlose Bücher