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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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weg in verständliches Deutsch zu übertragen. Es gab Aktiva und Passiva,
und leider konnte man von manchem nicht sagen, wozu es gehörte. Manchmal gelang
es mir, Keferloher mit meinen Fragen so einzuengen, daß er sich gezwungen sah,
profane Antworten zu geben. Zum Beispiel bei der Frage, wieviel an Barvermögen
mir nun zur Verfügung stand. Er antwortete ausweichend, schlüpfrig wie ein
Fisch, das könne man nicht so leicht in Zahlen ausdrücken, gerade jetzt, nach
der Währungsreform, vieles sei an dies und das gebunden und derzeit nicht
flüssig zu machen. Mumpitz. Ich ließ nicht locker und schließlich nannte er,
unter starkem Räuspern, beide Hände in der Luft wedelnd, eine Zahl, eine Summe,
die mächtig beeindruckend schien. Dabei ließ der Strolch sämtliche Gelder
unerwähnt, die auf Schweizer Konten gebunkert waren. Er hatte, und dafür muß
ich ihm eigentlich dankbar sein, während des Krieges viel auf die sichere Seite
gebracht. Mit teilweise haarsträubend illegalen Transaktionen. Er sah das
natürlich anders und stellte sich mir gegenüber quasi als Widerstandskämpfer
dar.
    »Das ist ja unglaublich!«
    »Jaja … Man muß Gott danken … Gott danken.«
    »Und das ist alles meins?«
    »Nun, zum größten Teil.«
    »Ich kann damit machen, was ich will?«
    »Theoretisch. Wenn Sie einundzwanzig sind.«
    »Und vorher?«
    Keferloher gab sich Mühe, seine Rolle herunterzuspielen.
    »Bis dahin habe ich die Vormundschaft. Was nicht bedeutet, daß ich
Sie in wichtige Entscheidungen über Firmenangelegenheiten nicht einbeziehen
werde. Sofern Sie das wünschen.«
    »Das ist schön. Ich möchte nicht mehr im Hotel leben. Kaufen Sie mir
was? Nicht in der Stadt. Draußen irgendwo, auf dem Land.«
    Keferloher zögerte. Und nickte dann. Immobilien seien eigentlich
immer gut, gerade sei manches Objekt billigst zu haben.
    »Wie heißt unser Hauptbuchhalter?«
    »Dr. Fichtner.«
    »Er möchte bitte morgen zu mir kommen. Ich will alles über den
Betrieb lernen. Jeden Tag drei Stunden lang soll er mir Unterricht geben.«
    »Hmm … Drei Stunden? Drei? Die wird er in der Firma fehlen …«
    »Keferloher?« Ich sagte zum ersten Mal Keferloher zu ihm, ohne
›Herr‹ davor.
    »Ja?«
    »Ich kann mich an die Nacht mit dem Flugzeug erinnern.«
    »Ja? Eine gewiß furchtbare Nacht, ich hatte gehofft …«
    »Sie wollten nur mein Bestes, nicht?«
    »Alexander … Wie soll ich Ihre Frage verstehen? Mein eigener Sohn
sollte den Flieger besteigen! Mein eigener Sohn! Ihnen zuliebe habe ich ihn
hierbehalten. Sie wollte ich doch nur in Sicherheit bringen. In Sicherheit.«
    »Danke.«
    Das war mein ganzer Kommentar. Nur ›danke‹. Daß er mich daraufhin
ansah, prüfend, wie um zu ergründen, ob und inwieweit es sarkastisch gemeint
sein mochte, überzeugte mich von seinem Schuldbewußtsein. Es mag wohl stimmen,
daß der Flieger mich irgendwohin bringen sollte, weit weg vom Krieg. Aber auch
weit weg von seinen Machenschaften. Das muß ihm damals sehr viel wichtiger
gewesen sein als das Wohlergehen seines Sohnes.
    Dr. Fichtner gab mir Unterricht in Wirtschaftslehre, drei
Monate lang. Ich bot ihm mehr Zukunft, als Keferloher ihm zu bieten bereit
gewesen war, folglich wehrte er sich kaum. Die Macht und ihre Möglichkeiten.
Der Rausch der Macht, ein erotisches Surrogat. Ich kostete davon. Aber Fichtner
war nur ein niederer Hampelmann ohne Ambition und Format.
    Lukian wurde zur Schlüsselfigur in meinen Plänen. Keferloher kaufte
dieses Schlößchen, auf dem wir uns jetzt befinden, zu einem Spottpreis von
70.000 neuen deutschen Mark, er glaubte wohl, hier, auf dem Land, weit weg von
München, wäre mein Wirkungskreis eingeschränkt. Aber ich sage Ihnen, es kommt
nicht darauf an, wo man residiert, solange nur die Welt zu einem kommt.
    Lukian kam, als ich ihn rief. Er war überraschend klug und wurde
mein Freund.
    Damals war das Schlößchen eine halbe Ruine, das Anwesen
besaß weder Park noch Mauern, und der Teer der Auffahrt war tausendfach
aufgebrochen. Es machte nicht übertrieben viel Eindruck, erforderte einige
Investitionen, von daher war der Kaufpreis im Grunde ganz korrekt. Mir wurde
eine beschränkte Kontovollmacht übertragen, auf einen geringen Teil des mir
zustehenden Vermögens, immerhin genügend, um mich damit in ersten finanziellen
Exkursionen zu üben. Ich hielt an Gefährdungen so ziemlich alles Denkbare für
möglich, bereitete einen Notfallrucksack mit Bargeld vor, für den Fall, daß ich
von hier flüchten müsse.

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