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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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in der Jam-Brühe. Das Publikum mag es, oder
glaubt, es mögen zu sollen. Rolf ist ein begabter Posaunist. Er hat den Flow,
er hat den Swing, der Rest der Truppe wütet, mehr oder minder zornig, im
rhythmischen Freiluftgehege. Zorn, der über Unsauberkeiten und zu krasse
Rückungen hinwegtäuschen soll. Der Wirt jedenfalls sendet klare Zeichen zur
Bühne, will, daß man irgendwas dazu tanzen kann. Sofie betrinkt sich mit Bier.
Birgit, die den Blick von Rolf dabei keine Sekunde lang abwendet, legt den
rechten Arm um sie.
    »Sei nicht eingeschnappt.«
    »Bin ich nicht.«
    »Biste doch. Aber komm … Du kennst ihn ja kaum.«
    »Und du?«
    »In mir sagt was, daß er der Richtige ist. Da muß man zugreifen. Das
geht nicht gegen dich. Sieh es ein. Hab mich wieder lieb!«
    Sofie sieht gar nichts ein, schiebt Birgits Arm von ihrer Schulter.
Schmollt. Immerhin. Daß Rolf der Richtige sei, soweit wäre sie nie gegangen. Das einfach
so zu behaupten, nein, so wagemutig und risikobereit wäre sie nicht gewesen,
insofern hat Birgit das Recht der stärkeren, entschlosseneren Verliebtheit auf
ihrer Seite. Die Schlampe. Ein Bier noch, und Sofie wünscht ihr alles Glück der
Welt, es ist angetrunkene Vernunft, die aus ihr spricht, nicht ihr verwundetes
Herz.
    Mobilmachung
    Der alte Keferloher wurde immer mißtrauischer gegenüber
meinen Aktivitäten und Kontobewegungen. Zitierte Lukian zu sich. Was das solle?
Diese Leute stünden auf keiner Gehaltsliste. »Was legt er sich da an? Eine
Leibwache?«
    »Es ist nicht, wie du denkst. Er sucht seine erste Liebe. Sie heißt
Sofie. Sofie Kurtz. Ihre Eltern haben bei uns gearbeitet. Starben beim
Bombenangriff.«
    »Ach was?« Keferloher behauptete, sich dunkel daran zu erinnern. Was
sicher gelogen war.
    »Jetzt sucht er Sofie im ganzen Land. Dazu braucht er die
Leute.«
    »Das ist das, was er dir erzählt .«
    »Du hast nichts zu befürchten, Papa.«
    »Ja, Himmel auch, was sollte ich denn zu befürchten haben?«
    »Eben. Sag ich doch.«
    Lukian und ich hatten in München-Moosach ein Büro
eröffnet. Ein großes Zimmer voller Telefone und Aktenschränke. Das Büro der
Sofie-Rechercheure, die wöchentlich bar bezahlt wurden. Fünf oder sechs junge
Menschen in meinem Alter, dankbar um die Außergewöhnlichkeit ihrer Aufgabe. Ich
war ein großzügiger Chef. Konnte es mir erstens leisten, zweitens gab es mir
ein gutes Gefühl, drittens hob es die Arbeitsmoral. Immer montags traf ich zur
Besprechung ein.
    »Wir haben eine Sofie Kurtz, Chef.«
    »Wo?«
    »Hamburg. Problem: Sie ist dreiundzwanzig.«
    »Nachprüfen. Sie könnte sich älter gemacht haben. Fahr hin, mach ein
Foto.«
    »Wir haben noch eine Sofie Kurz, aber ohne t. In Sigmaringen.
Zwanzig Jahre alt. Verheiratete Schwarzenbeck.«
    »Für die gilt dasselbe. Die Zeitungsannoncen haben nichts gebracht?«
    »Haufenweise falschen Alarm«, meldete Sylvia, die einzige Frau im
Team, fleißiger als alle anderen. Sie fand die Aktion endlos romantisch und
himmelte mich an.
    »Trotzdem. Wir legen noch eine Serie nach. Diesmal ne halbe Seite.
Sollte alles nichts helfen, plakatieren wir. Im ganzen Land, in allen Städten.«
    Das war eine gesegnete Zeit. Die Macht war mit mir – und
ein Ziel. Ich konnte diesen Menschen Gutes tun, ihnen eine Beschäftigung
bieten, die nicht so banal war wie das, was sie sonst hätten machen müssen. Und
ich war auf dem Weg zu Sofie . Ja, jene Monate habe ich genossen, weiß Gott, sie
waren außerordentlich, von einem noch unschuldigen Drang bestimmt, hin zu ihr,
der Geliebten.
    Mai 1951
    Rolf und Birgit frühstücken im Bett. Birgit liest Zeitung,
er schenkt Kaffee nach.
    Sie schlägt ein Blatt um. Entdeckt eine halbseitige Anzeige. Fette
Lettern.
    Gesucht:
Sofie Kurtz, ca. 20 Jahre alt, ehemals wohnhaft München-Allach, landverschickt
November 44. Kriegswaise. Wer betreffende Person kennt, möchte sich an folgende
Telefonnummer wenden. Auf Wunsch vertraulich.
    Es ist eine für diese Zeit nicht ungewöhnliche Anzeige.
    »Was liestn da?«
    »Nix.« Birgit schlägt die Zeitung zu. Rolf verkündet, er werde nicht
mehr in den Zirkel gehen. Das habe keine Zukunft. Sei radikales Zeug. Birgit
widerspricht. Damit sich was tue, brauche es ein gewisses Maß an Radikalität.
Gesteigerte Konsequenz. Sonst gäbe es bald die Wehrpflicht wieder.
    »Vorher schwimmen Eisberge im Mittelmeer.«
    »Dich seh ich noch einrücken, Freundchen.«
    »Hättste wohl gern«, murmelt Rolf, schmeißt sich auf sie, will
vögeln. Birgit wehrt

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