Eros
begutachten würde, so nah, das kommt ausgesprochen
frech, aber auch komisch.
»Hab mich schon gewundert. Ihr seht euch so gar nicht ähnlich.«
Birgit fragt kokett, ob das gegen sie ginge. Daß ihre Frage
Sofie brüskiert, eine Konkurrenzsituation heraufbeschwört, ist ihr höchstens
ein bißchen bewußt. Rolf, sehr viel sensibler als Birgit, behilft sich mit
einem grundlosen Lachen.
Ȇberhaupt nicht. Hier soll nichts gegen irgendwen gehn. Gehn wir
lieber noch wohin? Habt ihr Lust auf Musik?«
Eine halbe Stunde später sitzen alle drei in Wuppertals
bestbesuchter Jazzkneipe, dem Verkaterten Stiefel, und trinken Bier. Es ist eng und
verraucht. Auf der Bühne spielt ein Trio, bestehend aus Kontrabass, Saxophon
und Klavier.
»Machst du auf Richter oder Anwalt?« wird Birgit gefragt.
»Weiß ich jetzt doch noch nicht. Erstes Semester.«
»Und du?«
»Ich bin Kindergärtnerin.«
»Ach?« Rolf wirkt nicht völlig abgestoßen. Auch nicht sehr
fasziniert. Leider.
»Ich bin Posaunist. Ehrlich. Ich studiere Posaune. Nebenfach
Orgelbau. Ich hab selber ne Combo. Klapobassakko.«
Birgit möchte das erklärt bekommen.
»Naja, Klarinette, Posaune, Baß, Akkordeon. Bißchen schräge
Besetzung. Wir haben genommen, was da war. Wir spielen hier. Morgen abend.
Kommt ihr vorbei?«
Die beiden Frauen antworten nicht, aber sie lächeln, ziehen an ihren
Zigaretten, sehen leicht verschämt zur Seite. Sie werden kommen, aber das
behalten sie vorerst noch für sich, wollen nicht zu entgegenkommend wirken. Als
man sich nach mehreren Gläsern Bier auf der Straße verabschiedet, drängt
Birgit, diesmal schon sehr bewußt, auf eine Rangfolge in Rolfs Gunst, sie
schwenkt das Blatt in der Hand und fragt: »Wer darf eigentlich die Zeichnung
behalten?«
Sie sagt es eindeutig zweideutig. Genausogut könnte sie fordern,
Rolf solle sich gefälligst entscheiden, welche der beiden er angräbt. Rolf
stutzt einen Augenblick, denkt nach, wie aus dieser Sache diplomatisch
herauszufinden sei, ruft, während er sich zum Gehen wendet: »Schenkt sie euren
Eltern!«
Birgit und Sofie sehen sich an, sie schmunzeln und beiden wird klar,
daß sie von Rolf angetan sind, daß sie, wenn nötig, um ihn kämpfen werden.
Birgit steckt die Zeichnung in ihre Handtasche. Auf dem Heimweg wird
geschwiegen, ein Schweigen, das immer verkrampfter wird, obwohl beide in jedem
Augenblick überlegen, wie es zu brechen wäre. Bis das Schweigen so
bedeutungsschwer geworden ist, daß höchstens noch diejenige sprechen könnte,
die sich entschiede einzulenken, Schwäche zu zeigen. So, mit nur genicktem
Nachtgruß, lautlos, gehen die Freundinnen auf ihre Zimmer, im kleinen Häuschen
von Birgits Eltern oben am Hügel über dem südlichen Ortseingang.
Am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück versucht Birgit etwas
wiedergutzumachen, die Lage zu entspannen, indem sie die Zeichnung tatsächlich
ihren Eltern schenkt. Eine sportliche Geste. Die ›Schwestern‹ umarmen sich.
Nachmittags kommt es Sofie so vor, als stünde die Sonne am Himmel
still und mit der Sonne auf Erden die Zeit. Vor ihr spielen Kinder im Schnee.
Sofie starrt mit verschränkten Armen in den grauen Tag wie gegen eine Wand, die
sie vom Abend trennt. Zuhause schminkt sie sich, was die Zieheltern zu bissigen
Kommentaren reizt. Unter dem abgenutzten Mantel, sie besitzt keinen anderen,
trägt sie ein nettes Kleid, ihr schönstes, lichtblau mit silbernem Gürtel und
breitem Kragen. Betritt, eine Viertelstunde vor der verabredeten Uhrzeit die
Kneipe. Zu spät.
Am Tresen steht Rolf mit Birgit, hält ihre Hand, streicht durch ihr
Haar. Birgit bemerkt Sofie, winkt ihr zu, ein Winken, das Besitzerstolz und Schadenfreude
ausdrückt, zugleich auch die Aufforderung, näher zu treten, die Sache sportlich
als entschieden hinzunehmen und dem adretten Paar zu gratulieren.
»Wir sind uns in der Uni übern Weg gelaufen«, erklärt Birgit, um
jeden Vorwurf unlauteren Wettbewerbs im voraus zu entkräften. Sofie schweigt,
überlegt, auf dem Absatz kehrtzumachen, kann sich dazu nicht durchringen, es
hieße ja, die Niederlage einzugestehen. Das Kabuff ist voll, die Stimmung
gelöst. Rolf, ganz in Schwarz, begrüßt Sofie mit zwei Küsschen auf die Wangen,
entschuldigt sich danach, er müsse auf die Bühne. Seine Combo tritt auf. Und
spielt nicht übel. Etwas schräges, leicht sinistres Zeug, Jazz-Avantgarde mit
abgesägten melodischen Elementen, tonale Sprengsel im Lärm, keiner länger als
ein Takt, sozusagen die Fettaugen
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