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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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im Schnee unterwegs,
machten einen langen Spaziergang rund um den Wald, das war Februar 1951. Es war
die Zeit gekommen, um ihn einzuweihen und ganz auf meine Seite zu ziehen. Es
bestand ein gewisses Risiko, aber ich mußte die Last auf meinen Schultern
baldmöglichst verteilen, um darunter nicht zu zerbrechen. Beim Gedanken an den
drohenden Machtkampf wurde mir regelmäßig übel. Es gab noch genügend korrupte
Vorstandsmitglieder, die zum alten Keferloher halten würden. Und für die
Zeitungen war ich bereits kein Thema mehr. Niemand würde mich vermissen. Sogar
Tante Hilde war drei Wochen zuvor sanft entschlafen.
    »Nächsten Monat, wenn ich einundzwanzig bin, schmeiß ich
deinen Vater raus.«
    Lukian schwieg, starrte mit zusammengepreßten Lippen in den Schnee.
    »Fichtner hab ich schon auf meiner Seite. Er wäre bereit, gegen ihn
auszusagen. Conradi genauso. Und Melchior. Sie werden umfallen. Alle.« Das war
zu zwei Dritteln dreist gelogen, zu Conradi hatte ich ebensowenig Kontakt wie
zu Melchior.
    »Ich will nicht, daß er ins Gefängnis muß.«
    »Das muß er auch nicht. Wem würde das nützen?«
    »Gut.«
    Lukian war stets wenig parlant, und dieses schlichte gut aus
seinem Mund kam einer kompletten Einverständniserklärung gleich. Dennoch mußte
ich es unbedingt noch einmal hören.
    »Gut?«
    »Gut.«
    »Gut.«
    Lukian und Fichtner besorgten mir Material, das wir bei
einem Notar hinterlegten. Selbst im Falle meines plötzlichen Grippetodes würde
Keferloher durch diese Papiere so sehr belastet werden, daß man ihn für den
Urheber meines Hustens halten mußte. Dann kreuzte Conradi von selbst bei mir
auf und gelobte Loyalität. Das hat er gegenüber Keferloher nicht anders
gehalten, sei’s drum. Plötzlich war alles ganz einfach. Wenn Sie wollen, können
Sie im Roman noch ein wenig dramatisieren, aber nicht zuviel, ja? Ein
Hochgefühl überwältigte mich, wie es die alten Cäsaren gefühlt haben müssen,
wenn das letzte Hindernis auf dem Weg zum Thron beseitigt war. Sie fragen mich
gar nicht, wie es damals mit mir und den Frauen bestellt war. Antwort: Es gab
keine. Außer Sofie. Als Idee. Mehr Idee als Person. Daneben gab es den
existentiellen Eros des Überlebens, der sich verwandelte in den Eros der Macht.
    Meine Konten standen mir nun komplett offen. Möglichkeiten ohne
Ende. Und ich hatte alles, was nötig war, um mit diesem Apparat umzugehen,
gerade rechtzeitig, auf den letzten Drücker, gelernt. Halb war ich noch Kind,
halb auf groteske Weise erwachsen und durchtrieben. Transzendiert zur Idee,
wachte die Sehnsucht nach Sofie über meinen pubertären Gelüsten, neutralisierte
diese, oh, weiß Gott, es hat Verlockungen gegeben, Mädchen, Frauen, die sich mir
schamloser anboten als läufige Hündinnen. Ganz reizende darunter, hübsche und
sogar ein paar, die liebenswert gewesen wären. Mit dieser oder jener wäre ich
vielleicht glücklich geworden und hätte ein privilegiertes, aber banales Leben
geführt.
    Sofie ließ das nicht zu. So stark war sie in mir, so gewaltig und
hell. Wenn ich beim Masturbieren an eine andere dachte, schämte ich mich danach
meines Fremddenkens, als wäre ich noch fünfzehn.
    Jaja, ich weiß. Es klingt … Genau deswegen habe ich Sie ausgesucht. Sie dürfen das ruhig in Ihrer üblichen respektlosen Art
kommentieren, ruhig auch ein wenig sarkastisch, aber bitte nicht böse, bitte
nicht, das wäre unangemessen. Was in mir stattfand, war eine Art Kreuzzug, und
man kann einen Kreuzzug, selbst wenn noch so viel Unheil draus erwächst, nicht
aburteilen wie ein gewöhnliches Verbrechen.
    Daß Sofie unauffindbar blieb, lastete ich – Asche auf mein Haupt –
meiner Phantasielosigkeit an. Beinahe sämtliche Möglichkeiten hatte ich
bedacht. Daß sie tot war, daß sie geheiratet oder das Land verlassen hatte. Nur
eine an sich naheliegende Möglichkeit zog ich nie in Betracht. Daß sie
adoptiert worden war. Birgit Kramers Eltern hatten Sofie adoptiert und waren
mit ihr nach Wuppertal gezogen. Darauf mußte man erstmal kommen. Es hat mich
Jahre gekostet. Das waren keine verplemperten Jahre, denn die Suche nach Sofie war der Weg zu Sofie und – ich erspare mir die Plattitüde. Zu tun
hatte ich auch.
    Ich kaufte Menschen. Wie andere Münzen oder Briefmarken sammeln,
reihte ich Menschen in meine Verzeichnisse. Manche wurden bar bezahlt, andere
mit Schecks oder verkleideten Geschenken, wieder andere bezogen eine Währung
aus Versprechen oder nur vagen Aussichten meiner Gunst. Ich kaufte

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