Eros
bewegtes, ihr
verheultes.
»Ja? Was wollen Sie denn?«
»Oh. Ich komme wohl … ungelegen?«
Sie kennt den Kerl von irgendwoher. Weit her. Woher?
»Was gibts?« Tränen laufen ihr in die Augen; sie schließt, ohne eine
Antwort abzuwarten, die Tür.
Alex gestikuliert hilflos, bekommt die Situation nicht in
den Griff, will klopfen, tut es nicht. Bleibt unschlüssig vor der geschlossenen
Tür stehen. Er wartet. Setzt sich auf den Fußabstreifer.
Die Tür geht langsam wieder auf. Sofie hat sich wieder unter
Kontrolle gebracht.
»Entschuldigung. Ja bitte?«
Alexander schnellt hoch, es wirkt sprungfedernhaft, aber nicht
sportlich, weil er in Schieflage gerät und sich ausbalancieren muß. »Wir kennen
uns von früher …«
Ich weiß nicht, wie ich das schildern soll, damit Sie es
verstehen, man müßte zu mythischen Übertreibungen greifen. So muß Orpheus sich
gefühlt haben, als er Eurydike im Hades wiedersah, als der Fürst der Unterwelt
ihm zögerlich einen Blick auf die verlorene Geliebte gewährte, ihm ihre
Rückkehr ans Tageslicht in Aussicht stellte, so hab ich mich damals gefühlt, am
Ende einer langen Reise, zwischen meinen Ohren Feuerwerkskörper ohne Ende, der
Sinn meines Daseins, Fleisch geworden, stand vor mir, und vor uns lag das
Leben, meines, ihres, unglaubliche Möglichkeiten, als wäre ich wiedergeboren
und könnte mich an die Großartigkeit des Lebens erinnern in meiner
Kinderkrippe, so etwa, so euphorisch, ekstatisch. Ausgesöhnt mit allem Schmerz,
beschenkt mit den tiefsten Erkenntnisssen des Kosmos, Sie werden dafür Worte
finden, die glaubhaft und nicht zu schwülstig klingen, wiewohl das auf die
Leser schwülstig wirken muß, so etwas teilt sich nicht eins zu eins mit, so etwas teilt sich nicht, das bleibt in einem Stück und nur dem Auserwählten begreiflich.
Profan gesagt: Sehr hoch her ging es in mir.
»Alexander?«
Sie erinnnerte sich an meinen Namen! Unaussprechlich süßes Glück.
»Ungünstiger Moment?«
»Scheiße. Komm rein.«
Ja, ihr Mund sagte meinen Namen und das zweite Wort war Scheiße . Und damals wurde
das Wort selten benutzt, schon gar nicht vor Fremden. Stellen Sie sich vor: Wir
gingen in ihre Wohnung, und Sofie, meine Geliebte, beginnt, mir von ihren
Problemen zu erzählen, von Rolf und dem Leben überhaupt. Weil sie grad
irgendwen zum Reden brauchte. Irgendwen. Und da war nun ich und hörte zu.
»Ich glaub, ich bin immer noch verliebt in ihn. Birgit fühlt das.
Sie ist schlau und ich bin blöd.«
»Hm.« Ich bot ihr mein Taschentuch an.
»Ich kann doch nichts dafür.«
»Was ist das denn für einer? Dieser Rolf?«
»Er spielt Posaune.«
Das traf in mir einen wunden Punkt. »Ich habe selber mal Posaune
gespielt. Lange her.«
»Was machst du denn eigentlich hier?« Endlich stellte sie mal eine
Frage.
»Och …«
»Das ist kein Zufall, nicht? Du bist nicht zufällig hier?«
Was sollte ich sagen? Und was sollte ich denken? Es war sicher ein
Fehler gewesen, so in ihr Leben zu platzen. Und es wurde noch schlimmer. Ich
fragte: »Hast du heut abend was vor?«
»Heute? Nein.«
Sie gab mir das feuchtgewordene Taschentuch zurück. Ich besitze es
noch.
»War gar nicht leicht, dich zu finden. Mit deinem anderen Namen.«
»Hast du mich gesucht, oder was?« Ihre Frage klang vorwurfsvoll, als
sei ich zu aufdringlich gewesen.
»Soll ich gehen?«
Sie wußte es nicht genau, überlegte hin und her. Dann meinte sie,
kopfschüttelnd, ich solle bleiben, jetzt sei es ja schon egal. Ich nahm sie in
den Arm, sie ließ es zuerst geschehen, drückte mich aber nach ein paar Sekunden
sanft von sich weg.
»Laß, mir gehts schon wieder gut. Wir kennen uns kaum.«
»Willst du heute abend bei mir essen?«
»Was gibts denn?«
»Ich weiß nicht. Was Gutes. Was du willst.«
»Warum nicht? Der Scheiß-Tag ist sowieso gestorben.«
»Wenn wir bei mir essen, dann, dann … müßten wir fliegen.«
»Wie meinstn das?«
Ihr Gesicht – ach, herrlich, sie hatte bis dahin anscheinend nicht
wirklich begriffen, wer ich war, sie sah in mir wohl nur einen dummen Jungen
aus der Vergangenheit.
»Ich wohne ein bißchen weiter weg. Mit dem Zug schaffen wir das bis
heute abend nicht.«
Ihr Mund stand offen, aber ich glaube, sie wollte sich keine Blöße
geben, wollte, heute würde man sagen: nicht uncool wirken.
»Kloßbrühenklar.«
Sie war der einzige Mensch, meines Wissens, der diesen Ausdruck je
gebraucht hat. Man sagte zwar klar wie Kloßbrühe, aber das galt schon damals
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