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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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jetzt«, stellte ich fest, nonchalant, als würde ich
auf ein leeres Faß am Wegrand deuten. Im Schloß waren alle Zimmer erleuchtet,
es dämmerte bereits, mir war an einem warmen, lichterfüllten ersten Eindruck
gelegen. Was muß in Sofie während jener Minuten vorgegangen sein? Ihr wurde
womöglich bewußt, daß sie einem Monster auf dessen Burg gefolgt sein könnte.
Die Einsamkeit des Eulennests in einer sonst ringsum menschenleeren Landschaft – Sofie verhielt sich plötzlich anders, widerspenstig, als sei sie leichtsinnig
gewesen und müsse kämpfen, als habe es sie ins Domizil eines Condottiere
verschlagen, wo sie ihm ausgeliefert sein würde, auf Gedeih und Verderb.
    »Meine Güte!«
    Meine dümmlichen Ohren hörten aus diesen zwei Wörtern Anerkennung
statt Befremdnis heraus. Ich hatte den Speisesaal mit Dutzenden Kandelabern
erleuchten lassen, obgleich die Stromversorgung tadellos funktionierte. Mein
Personal hat nie irgendwelche pingeligen Kleidervorschriften beachten müssen,
bis auf diesen Abend, an dem ich angeordnet hatte, alle sollten dunkle Anzüge
tragen, damit sie feierlicher aussähen. Sie sahen vielmehr gespenstisch aus.
Ich war ein unreifer Mensch, durchdrungen vom Pathos historischer Gemälde, ich
beschwor den Gestenkatalog einer längst manieriert gewordenen Feierlichkeit,
wollte dem Augenblick Größe verleihen. Und inszenierte unabsichtlich etwas
Furchterregendes. Wir saßen uns gegenüber, an einer monströsen Tafel, immerhin
in der Mitte gegenüber, nicht an den Enden des vier Meter langen Tisches, ich
hatte Sofie darum gebeten, mir ihre Lieblingsgerichte zu nennen, sie hatte
Hühnchen gesagt und Flammkuchen auf Elsässer Art, das gab es dann auch, ich
hielt mich allen Ernstes für einen vollendeten Gastgeber.
    Sie hatte noch nie in ihrem Leben Champagner getrunken, also ließ
ich welchen auffahren, und nicht irgendeinen, sondern den besten, obwohl es
wahrscheinlich egal gewesen wäre, sie hätte die feinen Qualitätsstufen ohnehin
nicht zu unterscheiden gewußt. Aus heutiger Sicht kommt es mir vor, als würde
ich ein Tier verwöhnt haben, zwar in der besten Absicht, doch ohne Verständnis
für dessen Beschränktheit. Halt, das klingt zu abwertend, ich will es anders
formulieren: Wo ich Intimität und Geborgenheit hätte herstellen müssen,
verfrachtete ich Sofie in eine ihr fremde, prunkhafte Märchenwelt, und Märchen
besitzen nicht nur ein heimeliges, auch ein finsteres, surreales Element.
    »Das ist … Du spinnst!« Sie sagte es mir auf den Kopf zu, doch
verstand ich nicht.
    »Schmeckt’s dir? Ist doch gut, oder?« Wir aßen ein fabelhaft
gewürztes Hühnchen. Dachte ich. Sofie aß, Bissen für Bissen, Angst.
    »Lebst du hier allein?«
    »Bis aufs Personal, ja.«
    »Das ist doch …« Sie schüttelte den Kopf, versuchte sich Mut zu
machen.
    »Ich hatte es vorher enger«, sagte ich andeutungsweise, und
weißgott, wenn ich erzählt hätte, wenn ich herausgelassen hätte, was mit mir so
alles geschehen war, vielleicht hätte ich damit etwas gerettet. Mir Ochsen war
aber dran gelegen, ihr nicht mit Leidensgeschichten auf die Nerven zu fallen.
    »Was hast du so gemacht?« Sie war durchaus bereit, mir Brücken zu
bauen, wehrte sich mit Zehen- und Fingernägeln gegen die schicksalhafte
Atmosphäre, der ich sie aussetzte.
    »Nicht viel. Ich hab an dich gedacht.« Warum erzählte ich mein Leben
nicht? Warum?
    »Damit verschwendest du deine Zeit? Was willst du von mir? Wahnsinn.
Dieser Hall! Hier kann man überhaupt nicht reden.«
    »Man gewöhnt sich dran.«
    »Das klingt hier wie in einer Gruft.«
    Ich erschrak und bat um Entschuldigung. Ich Idiot hatte die Musik
vergessen. Auf mein Klingeln trat ein befrackter Violinist in den Saal, spielte
zigeunerhafte Sachen von Liszt und Brahms. Ich hatte mir das sehr romantisch
vorgestellt, aber es muß geklungen haben wie ein parodierter Totentanz.
    Sofie brachte keinen Bissen mehr herunter, sie hob die Schultern,
als ob sie fröre.
    »So stellst du dir das vor?«
    »Was?«
    »Uns?«
    »Ich habe … keine Erfahrung.« Prompt war mir alles peinlich, ich
hatte es ihr doch einfach nur recht machen wollen. Kurz, ganz kurz, wurde ich
zornig auf Sofie, aber das ging nicht, das war für mein Weltbild zu anstößig,
also wurde ich zornig auf mich selbst. Ich hatte der große, galante Liebende
sein wollen – und hatte es nur zu einem wüsten Zerrbild gebracht.
    »Sag mal, Alex – ist das dein Ernst? Du bist in mich verliebt? Jetzt
noch? Weil ich dich

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