Eros
damals geküßt hab?«
»Du solltest es nicht so sagen … als wär es nichts gewesen.«
»Es war aber nichts!« Sie trank Champagner, vielleicht zu schnell
und zuviel. »Wozu zeigst du mir das alles?«
»Ich hab dir noch gar nicht alles gezeigt. Ich habe ein Schwimmbad.
Und einen Filmprojektor. Wir können uns was ansehen. Die Pferdekoppel ist leer.
Ich mag keine Pferde. Aber wenn du welche magst, tun wir wieder welche rein.«
»Alex, so geht das nicht. Ich bin nicht verliebt in dich. Du willst
mich einkaufen, wie ein, ein Stück Butter …«
»Ich … ich will dich doch nicht kaufen.«
»Verdammt!« Sie wurde nun fast hysterisch. Mir war schlecht.
»Natürlich ist das eine Versuchung. Ist dir klar, was du mir antust?«
» Ich – tue dir etwas an?« Merkwürdig, aber meine Stimme klang betrunkener als ihre.
Definitiv. Ihre Stimme war so brutal, und als sie ins Flüstern überging, war
ich bereit, sie zu hassen.
»Schau, du glaubst bestimmt, mich … Aber … Da war dieser
Amileutnant. Er brachte mir Blumen, eine Woche lang. Ich hätte mit ihm gehen
können. Ich hab ihn nicht geliebt. Und trotzdem ließ ich mir Blumen schenken –
und das ganze viel nützlichere Zeug, das nicht da war, Butter, Kaffee,
Zigaretten – und ich ließ mich von ihm küssen und wir redeten, wie es wäre.
Drüben. Ich war siebzehn …«
»Warum erzählst du mir das jetzt?« Ich suchte vergeblich nach einem
Knopf, um ihr Gerede abzuschalten.
»Ich hab mich wie eine Hure benommen. Das werde ich nie wieder tun.
Ich hätte mich beinahe verkauft. Beinahe wär ich nach Amerika gegangen, hätte
ein anderes Leben begonnen. Es wäre so einfach gewesen. So logisch . Er hätte alles
für mich getan. Er sah auch noch gut aus, war toll im Bett …«
Jetzt quälte sie mich. Später erfuhr ich, daß mit diesem Amileutnant
bis auf ein paar harmlose Küsse nichts gewesen war. Gar nichts.
»Warum erzählst du mir das?«
»Das möchtest du nicht hören, nicht? Sowas wäre dir ja ganz fremd. Hast du
nur einen Tag je Hunger gehabt?«
Da wußte ich, daß es Gott gibt und daß er grausam sein muß. Was
sollte ich sagen? Alles, wirklich alles, hätte herbeigeholt und erfunden
geklungen. Sofie geriet in Fahrt. Sie machte mich fertig.
»Ich hätte mich beinah verkauft . Und jetzt kommst du und – so ein Mist! Weißt du, wie sehr ich mir in diesem Moment wünschen würde, daß ich nur ein
kleines bißchen in dich verliebt wäre? Weißt du, wie das ist – nichts zu sein
und nichts zu haben? Du vergewaltigst mich mit all dem Scheiß hier!«
Ich war zu perplex, um auch nur irgendetwas zu antworten.
»Fakt ist: Du warst einfach nicht da, als ich dich gebraucht
hätte … Ich weiß nicht, wo du all die Jahre gewesen bist. Ich hab manchmal an
dich gedacht, hab mich gefragt, was aus dir geworden ist, hab mir vorgestellt,
wie es wäre, wenn du kämst, mich aus dem Dreck holst. Jetzt hab ich mich
eingerichtet im Dreck, bin verliebt in den Freund meiner Stiefschwester – und
steig ins Flugzeug, um in einem komischen Gespensterschloß zu Abend zu
essen …«
Sie brach in Tränen aus, heulte in ihren Flammkuchen, ich winkte dem
Geiger, er solle das Zimmer, vielmehr den Saal, verlassen.
»Verzeih mir.« Eigentlich hätte ich sie lieber schlagen oder
vergewaltigen wollen, so ungerecht fühlte ich mich behandelt.
»Ich hab zu schnell getrunken. Ich hab einen Schwips. Nutzt du das
jetzt aus?«
Wünschte Sofie sich das etwa? Ich bin mir auch heute dessen nicht
sicher. Gab es einen sozusagen korrupten Teil in ihr, der an jenem Abend mit
Gewalt genommen werden wollte? Aber das sind späte Reflektionen, damals sagte
ich leise: »Ich liebe dich.«
»Du bist verrückt. Ich will jetzt gehn.«
Sie kletterte über den Tisch, gab mir einen Kuß auf den Mund, ich
begriff, es war der Kuß von damals in der Kiesgrube, nur noch einmal, eine Art
nachgereichte Bezahlung.
»Danke fürs Essen. Kann man mich nach München bringen? Zum Zug?«
»Ich werde dich immer lieben, Sofie.«
»Dann behalt es für dich!« Sie schrie es hinaus.
Im Moment der Niederlage Haltung bewahren. Die Sätze der
Väter ruhen tief unter der Haut, und irgendwann, in den unpassendsten Momenten,
kommen sie hervor. Haltung bewahren – das kann man so und so auslegen.
Vielleicht hat mein Vater Haltung bewahrt, in seinen Augen. Ich rief nach dem Wagen, fragte
den Fahrer, ob er imstande sei, Sofie nach Wuppertal zu fahren, heute nacht
noch.
Er sagte ja. Mag sein, daß es die Antwort war, die
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