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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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er glaubte,
seinem Brotherrn geben zu müssen. Sofie indes bestand darauf, nur nach München
gefahren zu werden, es gebe bestimmt einen Nachtzug. Lassen Sie im Roman diese
Diskussion lieber weg, es würde bestimmt zu krämerisch wirken. Wir standen
unten. Der Fahrer fragte noch, was er tun solle, würde es keinen Nachtzug mehr
geben. Ich antwortete, das solle er der Frau überlassen. Herrgott, ich wollte
Sofie Geld geben, für den Zug, oder für eine Nacht im Hotel, das war doch das
mindeste, nicht? Aber ich konnte mich nicht überwinden, ihr Geld anzubieten,
wie hätte das ausgesehen? Aber wenn man liebt, macht man sich doch einfach nur
Sorgen um den anderen – und es müsste herzlich egal sein, wie so etwas
aussieht. Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas Romantischeres erzählen. Es war
ein so bitterer, entscheidender Augenblick, und ich dachte daran, ob und wie
ich ihr Geld geben konnte, oder warum lieber nicht. Geld, Geld, Geld.
    Ausgerechnet diese Minute hatte die Zeit sich ausgesucht, um mir
klarzumachen, daß ich mich selbst nur noch unter dem Vorzeichen des Geldes
sehen konnte.
    Endlich hörte ich mich stammeln: »Hör zu, wenn du mal Hilfe
brauchst, irgendwie, dann …«
    »Wahrscheinlich bist du ein guter Kerl, Alexander, und ich bin
verrückt. Vielleicht werde ich mir mal blöd deswegen vorkommen, vielleicht ist
die Welt tatsächlich so und so, aber das muß ich erst rausfinden. Du lebst in
deiner Welt – und ich lebe in einer, die du nicht nötig hast.« Sie zögerte. Was
kam, war selbst ihr eine Spur zu hysterisch, zu pathetisch.
    »Ich lebe nicht – machs gut! Danke nochmal.«
    Ich zündete mir eine Zigarette an, spürte die Gier, mich
zu betrinken. Sofie stieg in den Wagen, der Wagen fuhr los, plötzlich war die
Szenerie, unser gemeinsames Szenario, zu Ende. Tränen liefen mir über die
Wangen, ich begriff, daß Sofie schon nicht mehr da war, einfach nicht mehr da.
Ich hätte dem Wagen hinterherlaufen können, hätte laut schreien, dem Fahrer
befehlen können, anzuhalten, damit die Zukunft noch einmal losging, drei, vier
Sekunden besaß ich die Gelegenheit, dann war es dafür zu spät.
    In jener Nacht habe ich das gesamte Personal auf Urlaub geschickt,
wollte allein sein auf meinem Gespensterschloß, ganz allein mit meiner Wut,
meiner Enttäuschung. Oh, hätte ich damals Hass auf Sofie entwickeln können,
einen reinigenden, kathartischen Hass, welche Aussichten hätte es für mein
kommendes Leben gegeben. Aber der Hass, der entstehen mußte, wie aus einem
chemischen Gesetz heraus, dieser Hass richtete sich ganz gegen mich selbst. Und
es war gerecht. Mir waren so viele Fehler unterlaufen, ich hatte meine Geliebte
mit irgendeinem Mädchen verwechselt. Wäre in jener Nacht eine Feuerwaffe auf
dem Schloß herumgelegen, müßten wir zwei hier und heute nicht miteinander
reden. Erstaunlich, eigentlich, daß keine vorhanden war, nichtmal ein
Jagdgewehr oder etwas ähnliches.
    Von Brücken tat mir ein wenig leid, ja. Verwundert stellte
ich diese Regung an mir fest und wehrte mich sogleich dagegen, als sei ich
emotional ausgetrickst worden. Mir war, als müsse ich etwas sagen, was der
entstandenen Stimmung etwas Sentiment abschöpfen würde, und ich verstieg mich
zu der Bemerkung, Sofie käme etwas zickig rüber. Eine Frau mit Prinzipien sei
grundsätzlich ja in Ordnung, aber die Hysterie …
    »Zickig? Nein! Reden Sie nicht so von ihr! Sie war resolut, ja.
Hysterisch? Was reden Sie da? Natürlich mußte sie hysterisch
reagieren, konfrontiert mit so vielem, in so kurzer Zeit. Sie fühlte sich im
falschen Film – und sie hat völlig richtig reagiert, hat es gar nicht erst zu
Vertraulichkeiten kommen lassen. Sie mußte schließlich auch Angst haben.«
    »Verzeihung, das mag stimmen, aber, wenn ich etwas einwenden
darf …«
    »Ja?«
    »Es wird mir partout nicht klar, warum Sie sie geliebt haben,
was das Reizvolle an ihr war.«
    Von Brücken sperrte die Augen weit auf.
    »Warum ich sie geliebt habe? Woher soll ich denn das wissen? Diese
Frage wollte ich eigentlich Ihnen stellen.«
    »Aha. Ach so.«
    »Warum liebt man jemanden, den man kaum kennt? Dergleichen soll
vorkommen, meinen Sie nicht?«
    In seinen Tonfall schlich sich wütende Schärfe, noch beherrscht
zwar, doch deutlich. Er bemerkte es selbst und atmete lang aus, entspannte sich
wieder.
    Der Kindergarten in Wuppertal, am nächsten Morgen. Sofie,
übernächtigt, hängt ihre Jacke an einen der kleinen Haken, auf Höhe ihres
Gürtels in eine

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