Eros
murmelte Luki.
»Ja? Wahrscheinlich.«
»Alexander!
Du undankbares Stück! Mach auf!«
»Sag mir bitte eins: Warum immer noch diese Sofie? Warum nimmst du
dir nicht Sylvia? Was stimmt denn mit ihr nicht?«
»Luki?
Bist du da drin?«
»Schau, Luki, dort gehts raus – zu deinem Vater. Hier hinaus – nach
Wuppertal. Wähle!«
Das klang rabiater, als es hätte klingen sollen. Wir setzten uns
zusammen und nachdem ich ihm meine Pläne in groben Zügen erklärt hatte, hielt
Lukian mich nicht mehr für ganz so verrückt. Sofie sollte es gut haben. Wenn
sie sich nicht helfen lassen wollte, mußte man ihr eben heimlich helfen. Ich hatte
es aufgegeben, sie für mich zu erobern, das allein war aber noch lange kein
Grund, sie in ihrem mittellosen Dasein ohne Schutz zurückzulassen. Lukian
sollte auf Sofie achtgeben, dezent, aus dem Hintergrund, das war alles, eine
erfüllende Aufgabe mit hohem Spaßfaktor. Wir beide trafen ein Arrangement. Er
würde künftig mein alleiniger Vize sein, mit einem fürstlichen Salär
ausgestattet, im Gegenzug müßte er einige Jahre lang einverstanden sein, sein
Leben etwas unkonventionell zu gestalten.
»Also – durch welche Tür willst du? Zu Papi oder nach Wuppertal?«
»Wuppertal.«
»Bravo. Und jetzt feiern wir.« Von draußen tönte die schwächer
werdende Stimme Keferlohers: »Alexander? He, niemand faßt mich an! He!« Die
Sicherheitskräfte komplimentierten ihn hinaus.
»Das
wirst du bereuen! Du Arschloch, du größenwahnsinniges!«
Keferlohers Geschrei amüsierte mich bis hin zu einem Lächeln, dem
ersten seit Wochen.
Der Eros der Macht ist von den Dichtern selten angemessen
besungen worden, aus dem schlichten und triftigen Grund, daß kaum ein Dichter
je Macht im trivialen Sinne besaß und ihren Zauber am eigenen Leib gespürt hat.
Mir verhalf die Macht bzw. deren Ausübung zu einem neuen Leben, es stimmt, ich
sublimierte, verdrängte meine Liebe und wurde erwachsen, wurde ein fabelhafter
Geschäftsmann. Mit Geschick und auch viel Glück führte ich die von
Brücken-Werke zu neuen Gipfeln, legte in den folgenden Jahren den Grundstein zu
einem Imperium. Alexander der Große war später mein Spitzname, selbst bei der
Konkurrenz. Aber das alles ist nicht so interessant. In jener Nacht, das soll
erwähnt sein, habe ich mit Sylvia geschlafen, aus Trotz und … weswegen auch
immer, recht betrunken war ich, doch gelang es mir, glaubwürdig, einen Orgasmus
ihr und auch mir selbst vorzutäuschen. Das war mein erster Beischlaf,
wohlgemerkt. Beischlaf ist ein ganz passendes Wort.
Juni 1953
Rolf hat nach sieben sehr bösen Szenen, unterbrochen von
sechs Versöhnungen, Birgit endgültig verlassen und behauptet, im Grunde Sofie
schon immer latent geliebt zu haben. Nach der offiziellen Trennung von Birgit
darf er es auch. Seit einer Woche ist Sofie keine Jungfrau mehr, was ihr
Selbstbewußtsein leidlich anhebt. Ob sie Rolf wirklich wiederliebt, oder nur
die späte Siegerin im Wettstreit mit der Stiefschwester sein will, das weiß sie
nicht so genau, jedoch braucht sie Rolfs Nähe, seine Wärme, auch seine
Begierde, ansonsten gibt es in ihrem Leben wenig Motivation. Auf der Wand über
ihrem Bett hängt ein Lenin-Plakat, das Rolf als nicht gerade potenzsteigernd
bemeckert. Sofie überhört es, ihre Probleme sind anderer Natur.
»Birgit wird wahrscheinlich nie mehr mit mir reden.«
»Ach was. Und wenn? Störts dich?«
»Ja. Natürlich.«
»Dann geh zu ihr. Sprecht euch aus.«
Die Frauen treffen sich anderntags auf der Straße, ohne
Verabredung, zufällig, man kann auch sagen, zwangsläufig, aus Gründen der
Kleinstadt. Entgegen allen Befürchtungen zeigt sich Birgit zum Dialog, sogar
zur Versöhnung bereit, wenngleich sie von Rolf dringend abrät, er sei spießig
und festgefahren, glaube an Astrologie und sei ein typischer Krebs. Seine
Qualitäten als einfühlsamer Liebhaber läßt sie indes gelten und äußert sogar
Erleichterung, daß Sofie, durch wen auch immer, endlich zur Frau gemacht worden
sei. Birgit spricht es nicht aus, aber die Ursache einer gewissen hysterischen
Neigung Sofies hat sie immer in deren Jungfernschaft vermutet. Mit
zweiundzwanzig ist man selbst in den Fünfzigern spät dran. Es ist die Zeit, da
man Kausalitäten jeder Art nicht nur politisch, sondern auch sexuell zu
begründen beginnt. Vielleicht noch nicht in den Zeitungen, wohl aber in den
Büchern für Kulturmenschen. Birgit befindet sich auf dem Sartre-Trip und findet
Henry Miller, den sie im englischen
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