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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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und sein sechs Monate alter Sohn
starben bei einem Autounfall –, diese Tragödie ließ ihn am Schicksal
verzweifeln, ich glaube, er brach mit seinem Gott und konnte mich aufgrund
meines ›Erfolgs‹ eine Zeitlang nicht mehr leiden. Ich hatte, wie gesagt, noch
etliche Informanten in Wuppertal neben ihm, und Lukian wußte längst nicht von
allen, von daher war es schwer für ihn, etwas an mir vorbei zu unternehmen.
Dennoch, er war schlau und ist es noch immer, ich traue ihm zu, daß er bereits
damals in Konkurrenz zu mir trat, daß er mit Sofie etwas gehabt hat, ohne daß
ich davon erfuhr. Das wäre auch gar nicht schlimm. Sofie ist mit einigen recht
widerlichen Männern zusammengewesen. Lukian ist kein widerlicher Mann. Sie
müssen ihn, wenn ich tot bin, unbedingt danach fragen. Nach meinem Tod wird er
vielleicht die Wahrheit sagen. Und wenn Sie es erfahren, wird es
sein, als ob ich es erfahre. Verstehen Sie das?«
    »Nein. Doch. Ja.«
    März 1963
    Drei Monate nach dem schrecklichen Unglück, kehrt Lukian
in seine Wuppertaler Wohnung zurück. Hier erinnert ihn nichts an Lore und Ben,
mit 34 Jahren, denkt er, muß man noch einmal anfangen können, muß die Toten
ruhen lassen. Er hat Lore geliebt, seinen sechs Monate alten Sohn aber noch
mehr, auch wenn – diesen Gedanken in Worte zu kleiden, fällt ihm schwer – es
doch eigenartig ist, einen Menschen, der noch nicht ein einziges Wort sprechen
kann, mehr zu lieben als dessen Mutter, die Charme und Bildung besaß, Witz und
Liebreiz und Güte. Eine chemisch ausgelöste Liebe, die von körpereigenen
Instinkten und Hormonen diktiert wird. Wenn man ganz ehrlich ist, denkt er,
sind sechs Monate alte Kinder doch noch sehr austauschbar und mit wenig
Persönlichkeit behaftet. Und die Hilflosigkeit kleiner Kinder hat Lukian stets
als etwas Erschreckendes empfunden. Es kommt ihm so vor, als sei seine Familie
von Anfang an von etwas bedroht worden, als habe die Tragödie in der Luft
gelegen. Sein Zorn treibt ihn zu fürchterlichen Gedankengängen, er stellt sich
vor, daß Alexander im tiefsten Inneren froh sein müßte über das, was geschehen
ist, hat es ihm doch seinen engsten Mitarbeiter und Freund, der drauf und dran
gewesen war, sich aus seinem Dunstkreis zu lösen, wiedergegeben. Wenn er nachts
weint und Gott verflucht, stellt sich Lukian sogar vor, Alexander könne Schuld
haben an dem Unfall, was völliger Unsinn ist, der betrunkene Fahrer, der Lore
und Ben auf sein Gewissen lud, war ein siebzig Jahre alter niederländischer
Rentner, der Brems- und Gaspedal verwechselt hatte. Jeder Mensch wehrt sich
gegen die Banalität der Schicksalsschläge, sucht eine Bedeutsamkeit hinter
allem, um vor dem Leben nicht als ohnmächtig und vergewaltigt dazustehen. Wie
fragil alles ist – und wie stur fast alle Menschen agieren, als wäre dem nicht
so. Erstaunlich, denkt er, daß die Menschheit trotz der ihr zugemuteten Todeserkenntnis
so viel zustandebringt. Oder gerade deswegen? Er hat, auf Alexanders Bitte hin,
Camus gelesen und wenig Überzeugendes darin gefunden. Er stellt sich einen
glücklichen Sisyphos als Vollidioten vor.
    In diesem Moment klingelt es an der Tür, zum ersten Mal in diesem
Jahr. Er öffnet. Sofie ist das, Sofie, die er als Person kaum je wahrgenommen
hat, nur als obsessives Hirngespinst seines Chefs. Sie trägt ein hübsch
tailliertes weißes Kleid, mit hochgestelltem Kragen, läßt eine Handtasche vor
den Knien baumeln.
    »Guten Tag. Ähmm, ich – Sie wissen schon noch, wer ich bin?«
    »Selbstverständlich. Frau Nachbarin.«
    »Wir sind uns leider so selten über den Weg gelaufen … Ich hab
manchmal an den schönen Blumenstrauß gedacht – und mich nie richtig dafür
bedankt.«
    »Keine Ursache.«
    »Man hat nie was aus Ihrer Wohnung gehört … Deshalb hab ichs immer
wieder vergessen.«
    »Nun, ich kann Sie im Moment schlecht reinbitten. Bei mir siehts
aus …«
    »Nicht nötig. Ich wollte mich eigentlich nur verabschieden.«
    »Verabschieden?«
    »Ich geh weg. Nach Berlin. Sie schauen so. Finden Sie das nicht
gut?«
    Lukians Gesicht leuchtet auf, Wuppertal blieb ihm stets verhaßt.
»Oh … nein, das ist … toll.«
    Sofie guckt ihn fragend an – Bin ich sone üble Nachbarin gewesen?
    Lukian quält sich zu einem Lächeln. »Ich meine – ich trage mich …
selbst mit dem Gedanken …«
    »Nach Berlin? Das istn Zufall! Was machen Sie denn so? Herrje, ich bin neugierig …«
    »Kein Problem, seien Sie ruhig, äh, ich bin … Lektor.« Lukian

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