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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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hat
sich diese Antwort, mitsamt einer glaubhaften Existenzlegende, vor so vielen
Jahren schon zurechtgelegt, daß er jetzt kurz nachdenken muß, bevor sie ihm
einfällt.
    »Ah! Interessant. Für welchen Verlag? Entschuldigung, ich bin zu neugierig.« Sofie schmunzelt und streicht sich kokett mit Daumen und
Zeigefinger übers Kinn.
    »Ich arbeite frei … freier Lektor. Da und dort.«
    »Das ist wahnsinnig interessant.«
    »Nein … Und Ihr Freund? Geht er mit – nach Berlin?«
    »Wir haben uns getrennt. Er ist jetzt verheiratet.«
    »Oh? Ging aber schnell …«
    »Schnell? Naja. Hatte es eilig. Mit Kindern und so. Sprang auf die
Nächstbeste drauf. Hast du vielleicht Lust, ’n bißchen spazierenzugehen?«
    »Ähmm …« Lukian weiß nicht, was sein Chef dazu sagen würde, aber er
sagt einfach: Ja. Und wiederholt es noch einmal, schneidig, entschlossen und
ohne jede Notwendigkeit. JA!
    »Schön. Prima! Ich zieh mir nur schnell was über!«
    Es ist der 22. März, Freitag. In der Nähe des Bahnhofs
unterhalten sich Sofie und Lukian, trinken an einer Imbißbude überzimteten
Glühwein.
    »Lektorierst du Sachbuch oder Belletristik?«
    »Meistens. Äh, letzteres.«
    »Du redest wohl nicht so gerne über dich und deine Arbeit …«
    »Nun … Belle et triste. Manches ist schön, das meiste ist traurig.«
    »Würdest du lieber selber schreiben? Oder ist das ein doofes Lektorenklischee?«
    »Vielleicht. Vielleicht ist es das …«
    »Ich schreib manchmal Gedichte. Die sind gar nicht schön – und sehr
sehr traurig.«
    »Hmm.«
    »Keine Angst! Das Zeug kriegt niemand je zu sehen. Außer mir.«
    »Oh … Wer weiß?« Er sagt es mit leicht sarkastischem Ton, der ihm
sofort leid tut. Was sie studiere, fragt er, um davon abzulenken.
    »Politologie. Bin aber schon fertig.«
    »Was macht man damit?«
    Sofie lächelt. »Revolution? Nein, ich weiß es selbst nicht so genau.
Im Moment schreibe ich meine Doktorarbeit. Über das konkret Politische in der
Philosophie von Camus.«
    »Ach ja?« Das ist glücklicherweise ein Thema, bei dem Lukian sich
guten Gewissens literarisch beschlagen geben kann. Er liebe, sagt er, Camus
außerordentlich, besonders den Mythos von Sisyphos .
    »Ja? Ich mag das Buch nicht besonders.«
    Der Glühwein hat beide ein wenig aufgelockert. Lukian schlägt vor,
eine nahegelegene Galerie zu besuchen, über die die Lokalzeitung berichtet hat.
    »Was gibts denn zu sehen?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwas mit Fernsehern. Der Künstler nennt es Videokunst .«
    »Was könnte das sein?«
    Lukian meint, man könne sich ja mal überraschen lassen. Der Künstler
sei Asiate. Das klinge aufregend, meint Sofie.
    In der kleinen Galerie Parnass betrachten die beiden Installationen
eines gewissen Nam June Paik. Es sind bizarr anmutende Arbeiten auf noch
pionierhaftem Niveau. Im Grunde nur mehrere Fernseher, deren Bildsignale durch
elektromagnetische Wirkung verzerrt werden. Lukian kann dem wenig abgewinnen.
Sofie vermutet hinter seinem Urteil konservativ-spießiges Ressentiment und
meint, ihr gefalle es. Ihr gefalle fast alles, was neu sei. Hauptsache, es
werde was ausprobiert.
    »Dann gefällt es mir auch.«
    »Wasn das für ne Einstellung?«
    »Man nennt sie Opportunismus.«
    Sofie muß lachen. Lukian wendet sich ab, ihm ist die Situation
plötzlich nicht mehr ganz geheuer. Sich bereits so sehr auf sie eingelassen zu
haben, daß er Sofie sogar zum Lachen bringt, wohin soll das noch führen?
    »Warum gehen Sie nach Berlin?« Er ist zum Sie zurückgekehrt vor
lauter Angst, findet das dann wiederum übertrieben und stellt die Frage schnell
noch einmal. »Entschuldigung, ich meine, warum gehst du nach Berlin?«
    »Birgit hat dort ne Kanzlei eröffnet, mitn paar Kollegen. Birgit ist
meine Stiefschwester.«
    »Ja?«
    »In Berlin geht was ab. Ich krieg dort nen Job. Und hier – erinnert
mich alles so sehr an Rolf. Das ist erstickend.«
    »Verstehe. Manchmal ist es ratsam, die Stadt zu wechseln.«
    Was rede ich für einen Scheiß, denkt er sich. Und wenn sie mich
fragt, wo ich aufgewachsen bin, was sag’ ich dann, wo war das nochmal? Ich kann
doch nicht sagen München-Allach.
    Besser, er stellt die Fragen.
    »Sie – du – Verzeihung – klingst nicht so ganz glücklich …«
    »Weißt du, Luc, darf ich dich Luc nennen? Das klingt nicht so
altbacken …«
    »Bitte sehr, alle nennen mich Luc …«
    »Ich fürchte, ich bin so eine, die nie ganz glücklich wird. Da ist
irgendwas Schweres in mir, ne zu hohe Oktanzahl in

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