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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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meinem Blut. Oder die Welt
hat Schuld. Ich weiß nicht recht. Vielleicht schmeiß ich die Doktorarbeit hin.
Zuviel Arbeit. Dann lieber eine, die gut bezahlt wird.«
    »Das wäre …« Lukian beendet den Satz nicht, sieht auf die
Armbanduhr. »Ich muß noch was tun. Muß los! Schade.«
    »Ja …« Sofie weiß eigentlich nicht, warum auch sie das schade
findet. Der Mensch wirkt ungelenk, verdruckst und die meiste Zeit neben der
Kappe. Dennoch, irgendwas hat er an sich, etwas Geheimnisvolles.
    Lukian gibt ihr seine Visitenkarte. »Vielleicht meldest du dich ja
mal – aus Berlin.«
    »Klar. Ich dachte, du willst da auch hinziehen?«
    »Äh, ja, vielleicht nicht sofort, ich meine, das stellt sich noch
raus, also wahrscheinlich. Dann laufen wir uns dort sicher mal über den Weg.«
    »Klar. Ist ja ein Nest. Würde mich freuen.« Draußen ist es dunkel
geworden und kalt. Sofie friert, trotz des schicken weißen Lammfellmantels, den
sie in einem Preisausschreiben gewonnen hat. Lukian könnte die Gelegenheit
nutzen und sie umarmen.
    »Ich habe …« Er senkt die Stimme. »Verpflichtungen …«
    »Versteh schon.«
    »Hat mich sehr gefreut, mit dir zu reden. Alles Gute für Berlin. Nie
aufgeben. Immer daran denken: Die Welt ist viel verrückter als man für möglich
hält.« Er gibt ihr die Hand.
    »Ist sie das?«
    »Glaubs mir.« Er drückt ihre Hand mit beiden Händen, wendet sich um,
geht eilig ab, seine Augen sind wässrig geworden, was er gerade noch vor ihr
verbergen kann. Sofie wundert sich. Der Typ hat mit ihr geredet, als habe sie
einen Tumor oder sowas.
    Lukian kam damals sofort ins Eulennest. Ganz unruhig war
er. Aufgewühlt. Wir unterhielten uns draußen im Park. Ihm machte dieses Leben
keinen Spaß mehr, das konnte man ihm anmerken. Laut gesagt hat er es nicht,
wahrscheinlich suchte er noch nach einer brauchbaren Alternative. Ich befand
mich damals selbst in einer Krise, war tablettenabhängig. Um hin und wieder
schlafen zu können, benötigte ich erst Veronal, später Morphiumspritzen, die
mir Dr. Fröhlich besorgte. Ich sah übernächtigt und ungepflegt aus, trug einen
Bart und nahm kaum noch auswärtige Termine wahr. Ich wurde langsam zum Phantom,
zur grauen Legende. Es stellte sich heraus, daß man sich als Geschäftsmann
meiner Kategorie fast allen Firlefanz schenken und genausogut vom Telefon aus
agieren kann. Meine Umgangsformen gegenüber den Menschen wurden etwas ruppig,
was mir im Nachhinein sehr leid tut. Lukian bemühte sich, seine innere Unruhe
zu verbergen, was er gar nicht nötig gehabt hätte, er hatte seine Familie
verloren und wohl auch den Sinn oder den roten Faden des Lebens. Er hatte alles
Recht dazu, unruhig zu sein. Ich ahnte, vielmehr, ich glaubte zu ahnen, warum
er sich so beherrscht gab. Sofie hatte ihm den Kopf verdreht.
    »Sie geht nach Berlin! Nächste Woche schon. Ich hab
angedeutet, daß ich ebenfalls im Begriff bin, nach Berlin umzuziehen. Sie hats
geschluckt.«
    »Nein. Nein …«
    »Es würde mir nichts ausmachen, nach Berlin zu gehen. Alex, ich war
immer unglücklich in Wuppertal.«
    »Nein. Du bleibst hier bei mir. Sieh in mein Gesicht. Ich bin krank.
Ich kann nicht mehr schlafen. Das ist alles Wahnsinn!«
    Lukian sah mich erschrocken an, kann sein, daß ich laut geworden bin.
Danach änderte er seine Taktik, gab jede Zurückhaltung auf.
    »Alex, ich glaube, ich könnte Sofie nahekommen. Ziemlich nah. Sie
mag mich, glaub ich. Und sie braucht uns in Berlin.«
    »Das würdest du für mich tun?«
    »Ja. Das ist mein Job.«
    »Es muß aufhören!«
    »Was?«
    »DAS!« Wieder wurde ich laut.
    Lukian ging vor mir in die Hocke, wie ein Erwachsener vor einem
Kind. Und wissen Sie, was er zu mir gesagt hat? Einen furchtbar lustigen Satz,
verquer lustig und furchtbar.
    »Wir können Sofie jetzt nicht allein lassen.«
    »Warum nicht?«
    »Sie ist nicht glücklich. Sie schreibt Gedichte!«
    Ich habe Tränen gelacht. Irgendwann lachte ich nicht mehr und weinte
nur noch. Aus Selbstmitleid. Warum war ich nicht fähig, aus meinem Leben etwas
Vernünftiges zu machen, warum? Konnte ich all die Möglichkeiten, die mir
gegeben waren, an eine Person verschwenden, die nichts für mich empfand? Was
eben noch seine Legitimation gehabt hatte als reizender Spleen, als skurriles
Spielchen, wuchs sich immer mehr zur Vergeudung eines Lebens aus. Und jetzt
fing auch noch Luki damit an, die Kontrolle zu verlieren.
    In der Nacht ließ ich alle Fotografien, die meine Leute
heimlich von Sofie geschossen

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