Eros
ich, Holger, Olaf, Karin, ein mir unbekannter lockiger
Junge – und Martin fuhr. Olaf saß vorne rechts und hatte Karin auf seinem
Schoß. Ich hatte Sofie auf meinem Schoß, es bedeutete nichts, es mußte schlicht
aus Platzgründen so gehandhabt werden. Ich fragte mich dauernd, ob Sofie meine
Erektion spüren konnte, mir wurde bewußt, daß ich mich zu weit vorgewagt hatte
und im Begriff war, mich zu verrennen, das Abenteuer uferte aus, ich mußte da
weg, mußte einen Schnitt machen.
Hier,
dort und überall . Wäre das nicht ein guter Titel? Nur ein
Vorschlag. Nein?
Dort
Gegen fünf Uhr morgens, der Hinterhof – abgesperrtes
Areal. Es ist schon beinahe hell und sonderbar still. Eine beachtliche
Menschenmenge sammelt sich vor der Absperrung, die nur von Anwohnern passiert werden
darf. Blumen werden abgelegt, Kerzen entzündet. Sofie, Karin und die fünf
Männer müssen in dritter Reihe trauern.
»Wir haben den Schuß gehört«, flüstert Sofie, »wußten aber nicht,
daß es ein Schuß war, wir hörten ihn als Knall, wie eine aufgeblasene Tüte
platzt, wir konnten nicht wissen, was geschehen war.«
»Wen meinst du mit wir? « Karin findet das schrecklich aufregend, sie hätte
den Schuß gern selbst gehört.
»Martin, Boris und ich. Da hab ich die beiden ja getroffen. Ohne die
hätt’ es am Ende vielleicht mich erwischt.« Sie sieht sich um, möchte sich die
Geschichte von beiden bestätigen lassen. Hinter ihr stehen weder Boris noch
Martin.
»Sind die nicht mehr da? Haben die sich nicht verabschiedet?«
»Dieser Boris ist nicht ganz koscher. Wußt ich von Anfang an. Hast
du gesehen, was für Schuhe der trägt?« Olaf zieht verächtlich die Oberlippe
hoch, geht allen auf die Nerven.
»Wahrscheinlich muß er sich um sein Taxi kümmern.«
»Wahrscheinlich!« Olaf grinst herablassend.
An diesem Tag beginnt in Deutschland ein großes Umdenken.
Den von der Bevölkerung zuvor verachteten Studenten fliegt erstmals Sympathie
entgegen, Mitgefühl. Der SDS wird von einer Splittergruppe theoriebeladener
Politprovokateure zur treibenden Kraft der Studentenbewegung, wird Pop.
Tagebuch 3.6.67
Am frühen Abend Großdemo gegen den Schah vor der Deutschen Oper.
Massiver Polizeieinsatz. Persische, auch unbekannte Schläger. Zwei schon etwas
ältere M, Boris und Martin, letzter very nice looking, zogen mich in ein
Treppenhaus. Unten Prügelei. Wir rauchten und unterhielten uns. Boris findet
die Beatles revolutionär. Lustig. Zwischendurch Knall/Schuß. Nach Dämmerung
nach Hause. Bude voll. Komme mir wie Mutter ohne Courage vor. Radio: Nachricht
vom Tod eines Studenten Benno Ohnesorg. (Wahrscheinlich DER Knall/Schuß!)
Später Martin, noch später Boris. Diskussion, hochtrabend, Stoa und Nero. Er
erinnert mich an, ich weiß nicht wen, muß ihn mal fragen. Holger wieder große
Klappe. Olaf schimpft mich Kindergärtnerin. Giftzwerg, brabbelt pathetisch.
Frühmorgens zum Protestgedenken. Karin findet mich alt. Martin und Boris beide
verschwunden. Frühstück bei Holger. Eingenickt.
Überall
Zwei Tage später hält Sofie erneut Unterricht ab, die
Baracke ist zum Bersten gefüllt. Viele hören zu, manche kommen auch nur, um den
Abend zu starten, sich mit Freunden zu treffen. Martin lauscht aufmerksam, wie
üblich, schreibt manches in sein Notizbuch. Boris ist nicht erschienen. Nach
der Stunde wird Martin auf der Straße am Ärmel gezupft. Wohin er denn neulich
so ohne Gruß und Abschied hinverschwunden sei. Er und sein Kumpel .
»Mußten arbeiten.«
Er gibt sich, findet Sofie, unnatürlich wortkarg. »Kannst du ihm was
ausrichten?«
»Wem?«
»Dem Boris.«
»Wenn ich ihn sehe, klar.«
»Du kennst ihn doch gut. Hast du gesagt.«
»Ja, naja, kennen … Mehr oder weniger. Das ist ne große Stadt.«
»Seid ihr nicht im selben Unternehmen?«
»Nee. Boris hatn eigenes Taxi. Fährt auf eigene Rechnung. Was soll
ich ihm denn ausrichten?«
»Nichts.« Sofie ist unsicher. Hat Boris nicht gesagt, er fahre nur vorübergehend Taxi? Kauft sich so jemand einen eigenen Benz? Von welchem Geld? Der Flunkerer.
Alle flunkern.
»Ich bin ganz durcheinander. Bringst du mich nach Haus?«
»Wer? Ich?«
Sofie hängt sich bei Martin ein. »Na klar du.«
Hier
Als ich um halb sechs Uhr morgens die Hotelsuite betrat,
lagen Sylvia und Lukian im Bett, nackt, aneinandergeschmiegt, das rang mir ein
Lächeln ab. Mehr noch, ein Grinsen. Es schien die ideale, naturgegebene Lösung,
ich freute mich für beide. Wiewohl es wahrscheinlich nichts
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