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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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diesem an
sich unverbindlichen Sätzchen brachte er mich in die Bredouille. Sofie drehte
sich zu mir um: »Du bist Taxifahrer?«
    »Ähmm … ja. Vorübergehend …«
    Holger unterbrach uns. »Die berichten was von einem toten Bullen.«
    Alle scharten sich um das Radio. Es war eine Falschmeldung, aber das
stellte sich erst am nächsten Tag heraus.
    »Das ist der Beginn der Revolution!« Olaf klatschte laut Beifall.
»Wir müssen los. Wir müssen kämpfen!«
    Sofie meinte, sie habe die Schnauze voll von Gewalt. Olaf giftete
sie an, sie rede ja wie eine Kindergärtnerin. Damit traf er einen empfindlichen
Nerv bei ihr. Sie schürzte wütend den Mund und schien etwas ebenso Gemeines
erwidern zu wollen, zügelte sich dann, machte eine wegwerfende Handbewegung und
murmelte nur, mit einem Schuß Selbstironie: »So komm ich mir manchmal wieder
vor.« Fügte hinzu: »Wenn ich euch so anseh.«
    »Ich werde mal nicht in Würde altern! Kannste Gift drauf nehmen!«
    Dieser Mistkerl, dachte ich. Mein Haß auf Olaf war beschlossene
Sache und irreversibel. Wie konnte er über meine Sofie so etwas Widerliches
sagen? Aber wenn ich mich umsah, dann waren Sofie und ich tatsächlich schon die
Ältesten hier. Mir war das nie zuvor so konkret aufgefallen: Daß es nach meiner
Generation noch andere geschafft hatten, ins Licht zu finden. Als Unternehmer
meines Schlages ist man mit siebenunddreißig sozusagen noch ein Frischling, ein
spätes Wunderkind. Hier gehörte ich zum alten Eisen, dem diese halben Kinder
eine Art natürliches Mißtrauen entgegenbrachten.
    Holger, der sich trotz Karohemd offensichtlich als intellektuelles
Alphatier fühlte, hob beide Arme und vollführte fast priesterliche Gesten der
Beschwichtigung.
    »Ohne Anweisungen machen wir überhaupt nichts. Eskalation verlangt
nach Koordination. Sonst machen die Bullen uns einfach fertig. Ich häng mich
ans Telefon.«
    »Henry würde da rausgehen! Zeichen setzen. Brandzeichen! Sone Nacht
muß man wie ein Stück Vieh auf den Boden werfen und tätowieren!« Olaf hatte
dieses Flackern in den Augen, eigentlich mehr ein Brodeln, das Überkochen des
inneren Aktionismus, der kein Ventil findet.
    »Wer ist Henry?«, fragte ich flüsternd, mit gespielter Neugier.
    »Mein Freund. Sitzt im Knast.« Sofie gab mir, sehr spät eigentlich,
die Hand.
    »Oh. Tut mir leid.«
    »Mein Onkel hatn Waffengeschäft.« Diesen Satz, in getragener
Geschwindigkeit, äußerte Karin, ein recht hübsches neunzehnjähriges Blumenkind.
Ich sage Blumenkind, weil man sie sich dann automatisch ungefähr so vorstellt, wie es der
Wirklichkeit entsprach, obgleich der Begriff Blumenkind noch gar nicht
in Umlauf war. Sie trug irgendwie fernöstliche Klamotten, eine wild bestickte
Weste über einer sackartigen lila Hose, und sie rauchte eine dicke,
unregelmäßig gedrehte Zigarette von sonderbarem Duft. Ich sah und roch meinen
ersten Joint. Es war alles aufregend und unwirklich. Hier gehörte ich nicht
her, aber es machte Spaß, wie der Ausflug auf einen fremden Planeten. Ich
mochte mich nicht losreißen. Mir wurde bewußt, wie sehr ich unter meinen
Möglichkeiten geblieben war. Gut, ich konnte jede Nacht teuersten Wein trinken,
ich hatte die Elysischen Gefilde des Morphiums genossen, konnte mir Kopien eben
erst abgedrehter Kinofilme liefern lassen, war auf einer Yacht durchs
Mittelmeer gekreuzt, mit einer Sylvia, die sich – egal – ich konnte mir
leisten, was immer irgendeinen Preis besaß. Aber das hier, oder etwas
ähnliches, hatte ich nie gehabt, diesen Mix aus Energie und Wut und Aufbruch –
sehen Sie mich nicht so entnervt an, ich weiß, wie das klingt, verlogen klingt
es, wenn ich behaupte, Nichtshabern hätte mein Neid gegolten.
    Was ich sagen will, in jener Nacht, darum geht’s, hätte ich wohl alles darum
gegeben, meine Haut abwerfen zu können, mir eine neue Existenz wählen zu
können. Sie denken vermutlich, daß mir das doch leicht möglich gewesen sein müßte. Wem denn
sonst, wenn nicht mir? Aber das stimmt nicht. Mein nicht befriedigendes Leben
bot etliche Möglichkeiten. Das tauscht man nun mal nicht gegen ein Leben mit
nur einer Möglichkeit, die vielleicht befriedigend sein könnte. Reden wir nicht drumrum. Man ist Sklave seines
Komforts, seiner Macht. Um sich dagegen aufzubäumen, ist der Wille zu schwach
und das Leben zu kurz.
    »Sind das alles deine Freunde?« fragte ich die Geliebte.
    »Freunde? Ich bin schon eher sowas wie ’ne Mutter für die.«
    »Du bringst ihnen was bei?«
    »Ich

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