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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Ernstes war und nur
das Nächstbeste, was die beiden aus der Situation hatten machen können.
Beneidenswerte Geschöpfe. Lukian wachte auf, warf das Laken über seine Blöße
und fragte, was gewesen sei.
    »Ich kann überhaupt nicht Auto fahren.«
    »Entschuldigung?«
    »Ich bin jetzt Taxifahrer – und kann nicht fahren.«
    »Ach je. Wieso kannst du nicht fahren? Du hattest doch mal diesen Sportwagen …«
    »Ich hab bestimmt alles verlernt.«
    »Sowas verlernt sich nicht. Kriegst du sofort wieder hin.«
    Lukian wußte mir stets zu gefallen.
    Über die Stadt Berlin wurde ein vollständiges
Demonstrationsverbot verhängt. Das war die große Stunde des SDS, der mit
Aufklärungsaktionen gegensteuerte, Flugblätter verteilte, die endlich gelesen,
nicht mehr achtlos weggeworfen wurden – und ich saß auf einem großen leeren
Parkplatz in Martins Taxi und lernte erneut Autofahren.
    »Sie hat also nach mir gefragt?« Der Wagen ruckelte arg, spotzte,
die Gänge knirschten.
    »Naja«, sagte Martin.
    »Hat sie nach mir gefragt oder nicht?«
    »Jawohl, Chef.«
    »Was hat sie denn gesagt?«
    »Nichts …«
    »Was genau?«
    »Ob ich meinem Kumpel Boris was ausrichten könnte.«
    »Ja, was denn?«
    »Hat sie nicht mehr gesagt. Nur daß sie durcheinander ist.«
    »Wie – durcheinander?«
    »Hat sie nicht näher erklärt.«
    »Warst du bei ihr?«
    »Nein, Chef … Hätte ich sollen?«
    Seine Lügen klangen putzig unbeholfen, es gab längst neue Leute, die
die Wohnung am Mehringdamm überwachten. Martin war dagewesen. Ich hätte sicher
Näheres erfahren können, wollte aber nicht. Auch die Wanze in der Wohnung, ja,
da gucken Sie entsetzt – es gab eine Wanze in der Wohnung, eigentlich drei –
aber nur für den Notfall, niemand hat Sofie belauscht, das müssen Sie mir
glauben, es war meinen Leuten verboten, ohne meinen ausdrücklichen Befehl die
Wohnung abzuhören. Ich hatte Angst, weil Henry bald aus dem Gefängnis entlassen
werden würde, hatte geträumt, daß er Sofie Gewalt antun könnte, nur deshalb
geschah das. Ein Traum, werden Sie sagen, ist nur ein Traum. Aber wenn man
Angst hat, wird jeder Traum zum Auskunftsbüro der Kassandra. Verstehen Sie?
Henry wollte, wie er meinte: standesgemäß – mit einem Taxi vom Knast abgeholt
werden. Das reizte mich. Gut, an diesem Tag waren die Wanzen in Betrieb. Sie
sollen alles erfahren.
    »Sofie Kramer. Ich brauche ein Taxi in den Mehringdamm 67.
In einer Viertelstunde.«
    Sie hätten sehen sollen, wie reibungslos alles funktionierte. Das
bestellte Taxi blieb auf dem Weg hängen, wurde in einen leichten Auffahrunfall
verwickelt. Stattdessen fuhr ich vor den Mehringdamm 67. Warum? Ich weiß nicht, warum.
Was für eine verrückte Zeit, in der nicht nur alles möglich schien, auch alles
möglich war.
    Sofie kam aus der Haustür, stieg ein, sagte Guten Tag, wir müssen nach Tegel in die
Strafvollzugsan  … »Boris?«
    »Hallo.«
    »Das darf doch nicht wahr sein.«
    »Was denn? Wie gehts dir?«
    »Oh, Scheiße. Nein, mir gehts gut. So ein Zufall!«
    »Wohin geht’s genau?«
    »Sei mir nicht bös.«
    »Weswegen?«
    Sie sah auf die Uhr, überlegte sich wohl, ein anderes Taxi zu
nehmen. Warum eigentlich? Aber die Zeit war bereits zu knapp.
    »Boris? Tust du mir einen Gefallen? Einen richtig großen?«
    »Welchen?«
    »Mich nicht zu kennen? Frag nicht. Bitte!«
    Wir fuhren los, und sie erklärte mir dann doch, warum ich sie nicht
kennen durfte. Ich mußte ihr einen Eid schwören. Ernsthaft.
    Vor dem Gefängnisausgang wartete bereits Henry, mit einer
Art vollgestopftem Seesack neben sich. Sofie entstieg dem Wagen, schmiß sich an
ihn ran, küsste ihn, wirkte fahrig, nicht ganz bei der Sache, ich fühlte
zugleich Schmerz und Spaß, nein, zugleich nicht, schnell aufeinanderfolgend,
das eher. Ein Wechselspiel von Stromstoß und Lichtblitz.
    »Ich hab schon gedacht, du kommst nicht.«
    »War Stau.«
    »In mir ist auch Stau. Hormonstau.« Er betatschte sie gierig. Mir
wurde übel.
    »Komm, Henry. Später! Zuhaus.«
    Ich fuhr also los. Hinten saßen meine Sternengeliebte und die
Drecksau und knutschten. Zwei Drittel der Zeit sah ich nur in den Rückspiegel.
    »Was hastn da an der Stirn?«
    »Ist schon wieder gut«, grunzte Henry, beinah stolz auf den Schorf
an der Stirn.
    »Wer hat dich verprügelt? Die Bullen?«
    »Ja.«
    Dieser Lügner. Ich wußte alles. Können Sie sich vorstellen, wie das
ist? Alles zu wissen?
    Sofie küßte die Wunde, ich baute beinahe einen Unfall, weil ich

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