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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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er hören? Ich ertappte mich dabei, nach einer
Antwort zu suchen, die auf ihn ehrlich wirken würde. Sich für jemanden
auszugeben, bleibe eine Täuschung, somit eine Respektlosigkeit. Jedoch sei ein
Großteil des menschlichen Lebens auf gezielten Respektlosigkeiten und
Täuschungen aufgebaut. Man könne da nicht pathetisch von Schuld sprechen,
höchstens vom Ursprungsmoment einer Kausalkette mit unvorhersehbaren
Entwicklungen. Zu leben, hieße Kausalketten zu initiieren. Dem zu entrinnen,
hätten selbst die strengsten Buddhisten nicht geschafft. Sollte ich es so
formulieren?
    »Es steht mir nicht zu, über Sie ein Urteil zu fällen.«
    »Wie bitte? Was glauben Sie denn, wozu Sie hier sind? Nur deshalb, um über
mich ein Urteil zu fällen!« Seine Stimme klang wütend. »Ihr Roman wird über
mein Leben entscheiden, seien Sie hart und gerecht, ich bitte Sie, und nehmen
Sie keine Rücksicht auf mich, ich werde tot sein, aber –« Er stockte und preßte
beide Handflächen auf sein Gesicht. »Ich will nicht tot sein.« Von
Brücken lachte. »Entschuldigung. Lassen Sie uns nicht zu persönlich werden.«
    Wo war ich? Ach ja, in jener Juninacht stand ich am Mehringdamm, sah
hinauf zu den drei Fenstern von Sofies Wohnung, alle hell illuminiert. Das sah
schon mal beruhigend aus. War mir aber nicht genug. Um drei Uhr morgens
klingelte ich, jemand öffnete mir. Die Bude war voll, Sie können sich nicht
vorstellen, wie voll, so voll, daß ich kaum auffiel.
    Praktisch ihre gesamte Unterrichtsklasse war da. Mir war nicht klar,
ob ein Fest gefeiert wurde oder ob man den Notstand ausgerufen hatte und sich
zu einer Lagebesprechung traf. Das klingt etwas zynisch, war aber in der Tat
nicht so leicht zu entscheiden. Die Leute, viel mehr Männer als Frauen, saßen
in allen Zimmern, und Bier wurde getrunken, zwei Radios liefen, eines mit
Jazzmusik, auf dem anderen wurde der Polizeifunk abgehört. Niemand wunderte
sich über mich, bis jemandem meine italienischen Schuhe auffielen.
    »Wer isn das?« Plötzlich war es ruhig im Raum, bis Sofie aufsah.
    »Er hat mir geholfen.«
    Prompt gingen die Gespräche und Debatten weiter. Was mich
irritierte, war nur, daß ich als Thema anscheinend auch für Sofie erledigt war.
Weder begrüßte sie mich, noch fragte sie, woher ich ihre Adresse kannte. Ich
hatte mir für diesen Fall wohl eine Ausrede zurechtgelegt, ich weiß aber
ehrlich nicht mehr welche, sie kann nicht sehr überzeugend gewesen sein.
Übrigens, da ich eben meine italienischen Schuhe erwähnt habe, sollte ich
ebenso erwähnen, daß die meisten der jungen Männer Hemd und Krawatte trugen,
nicht daß Sie sich da so eine Räuberbande mit wilden Bärten vorstellen, das kam
erst später. Weißes Hemd, schmale schwarze Krawatte, so sahen sehr viele der
sogenannten Revoluzzer aus, sofern sie Wert auf eine intellektuelle Erscheinung
legten. Im letzten Zimmer erkannte ich Martin, wenn er denn so
hieß – auf einmal wurde mir klar, daß Sofie annehmen mußte, er habe mir die Adresse
übermittelt, das Rätsel war gelöst. Martin schnarchte auf der Couch, schien gut
getrunken zu haben. Ob ich deswegen böse werden sollte? Der Kerl befand sich ja
im Dienst, gewissermaßen. Aber bitte sehr, es sollte ihm gegönnt sein.
    Ein gewisser Holger, Ende zwanzig, vollbärtiger Typ im Karohemd,
kein weißes Hemd, keine Krawatte, saß am Polizeifunk und meldete, da draußen
sei immer noch die Hölle los.
    »Und woher wissen wir, ob wir ihm trauen können?« Der Satz flog an
mir vorbei; daß er sich auf mich bezog, nahm ich erst nach einer Weile wahr.
Ein drahtiger junger Blonder mit schon schütterem Haar fixierte mich. Er hieß
Olaf und galt selbst in der Szene als leicht paranoid, wie ich später erfuhr.
Jetzt nahm ich mir erstmal ein Bier aus der Badewanne, sozusagen als
proletarisches Attribut.
    »He, ich hab was gefragt, hört mir hier eigentlich keiner zu?« Olaf
wollte nicht locker lassen. In diesem Augenblick erwachte Martin, sah sich um,
zuckte zusammen und krächzte mit ausgetrocknetem Mund: »Ich kenn den. Der ist
in Ordnung.«
    Wir hatten kurzen Blickkontakt. Ich dachte nach, hielt es für nötig,
meinen neuen Vornamen zu nennen, für den Fall, daß Martin ihn vergessen hatte.
    »Ich bin Boris.«
    »Und du kennst den?« Olaf insistierte.
    »Wir sind in derselben Firma.« Martin wechselte mehrmals die
Gesichtsfarbe, während er das sagte. Er legte die Stirn in Falten, bemühte sich
bestimmt zu funktionieren, keinen Blödsinn zu reden, aber auch mit

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