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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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hatte.
    »Hören Sie zu! Das war ein aufregender Moment. Wir hörten
Sofie und Henry streiten.«
    Er ließ das Band laufen.
    Tonband 10. September 1967, abends, Wohnung Mehringdamm.
    –  Sofie: Können wir die Knarren nicht wenigstens
irgendwohin auslagern?
    –  Henry: Wohin denn? In’n Gebüsch im Zoo oder was?
    »Der Empfang, wie Sie hören können, war schwach und sehr
verzerrt. Ich fragte den Techniker, warum das so sei? Er wußte erst keine
Begründung zu liefern. Bis ihm eine Idee kam.
    ›Frequenzüberlagerung? Vielleicht wird das Telefon abgehört?‹
    ›Ja, wie –?‹
    ›Ich meine, von noch jemandem . Außer uns. Das könnte die Störung
erklären.‹«
    Alexander von Brücken stieß ein seltsam hemmungsloses,
übertrieben klingendes Kichern aus. »Verstehen Sie? Verstehen Sie wenigstens
ansatzweise, wie aufregend das war und wie deprimierend? Und wieder frage ich:
Was hätten Sie an meiner Stelle getan?«
    Er sei sich, sagte er, vorgekommen wie der Glöckner von Notre Dame,
der zusehen muß, wie man drunten die Schlinge um den Hals seiner geliebten
Esmeralda legt.
    »Ich mußte ihr doch eine Möglichkeit geben, da rauszufinden! Ich
fühlte mich wie besagter Tierfilmer, das soll nicht abwertend oder elitär
klingen, der sich irgendwann einmal in die Natur der Dinge partout nicht hatte
einmischen wollen. Nur zusehen. Allem seinen Lauf lassen. Nun mußte ich mich
entscheiden. Was hätten Sie an meiner Stelle getan? Die Sache entwickelte eine
ungeahnte Dynamik. Henry verkaufte die gestohlenen Waffen, einfach so, an
jeden, der über fünf Ecken davon gehört hatte. Wie ein gieriger kleiner Idiot.
Selbstverständlich geriet er bald an den Falschen. Ich meine, wenn man sich
schon in einem Polizeistaat wähnt, kann man sich auch dementsprechend vorsichtig verhalten .
Von wegen. Schon am nächsten Abend kam ein junger Mann in Sofies Wohnung. Henry
fragte ihn, ob er die Kohle habe. Sie gingen in den Keller. Henry kramte hinter
ein paar alten Koffern nach dem Sack mit den Waffen, fand ihn nicht.«
    Von Brücken spulte einige Ziffern vorwärts und setzte das Gerät
erneut in Gang.
    Tonband 11. September 1967, abends, Wohnung Mehringdamm – Keller
    –  Henry: Verflucht.
    –  Junger Mann: Was ist denn nun? Wo ist die Ware?
    –  Henry: Moment. Wird gleich geklärt.
    Sofie badete gerade. Nein, halt, sie nahm eine Dusche.
Nicht so wichtig. Henry stürzte herein und zog sie wohl unter dem Wasserstrahl
hervor, sie schrie ihn wütend an. Hören Sie!
    Tonband 11. September 1967, abends, Wohnung Mehringdamm – Bad
    –  Sofie: Was fällt dir ein? Bist du beknackt?
    –  Henry: Wo hast du den Sack hin?
    –  Sofie: Was?
    –  Henry: Du hast das Zeug verräumt!
    –  Sofie: Nein, hab ich nicht.
    –  Henry: Wer denn sonst?
    –  Sofie: Ich hab überhaupt nichts verräumt, hast dun
Knall?
    –  Henry: Glaubst du, du kannst mich verarschen? Da
drunten sitztn Kunde.
    »Wir hatten, neben den üblichen Sorgen um Sofie, auch eine
Menge Spaß. Zum ersten Mal taten wir nachweislich Gutes, indem wir Sofie vor
dem Gefängnis bewahrten. Den Sack hatten selbstverständlich wir ausgelagert, gerade
noch rechtzeitig. Sie müssen sich diese buffoeske Situation vorstellen: Der
polizeiliche Lockvogel sollte anscheinend Henry wenigstens dazu bringen, das
Wort Pistole zu verwenden.«
    Tonband 11. September 1967, abends, Wohnung Mehringdamm – Keller
    –  Henry: Ist mir echt peinlich. Die Ware ist weg.
Futsch.
    –  Junger Mann: Ich bekomme keine Pistole?
    »Der letzte Satz war derart plump formuliert, daß sogar
ein Affe wie Henry endlich mißtrauisch wurde.«
     
    –  Henry: ’N Glas Wasser kann ich anbieten.
    –  Junger Mann: Aber Sie haben mir eine Walther 65
versprochen, mit Munition.
    –  Henry: Seit wann siezen wirn uns?
    –  Junger Mann: Jedenfalls bin ich extra hergekommen
und steh jetzt mit leeren Händen da.
    –  Henry: Was schwafelst du für geschwollenes Zeug?
Da!
    »Henry gab ihm wohl das Geld zurück. Wenn man genauer
hinhört, hört man das Rascheln von Papier.«
     
    –  Junger Mann: Krieg ich die Pistole später?
    –  Henry: Was fürn Ding? Komm, machn Abgang.
Vielleicht krieg ich den 65er Bordeaux wieder rein. Vielleicht nicht.
    –  Junger Mann: Bordeaux? Hä? Willst du mich für blöd
verkaufen?
    –  Henry: Tschüs. Leck mich. Abmarsch!
    »Henry schob den V-Mann ins Treppenhaus, schmiß die
Wohnungstür zu und pfiff fröhlich vor sich hin. Der V-Mann sah

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