Eros
der
Stiefschwester zu reden. Was bedeutet, daß sie ihr impertinente Fragen stellt.
Wovon sie denn nun lebe, worin sie ihre Perspektive sehe, ob Henry das mit dem
blauen Auge gewesen sei. Sofie zeigt sich wenig auskunftsbereit. Die Gegenwart
ihrer Stiefschwester ist ihr geradezu peinlich. Nur der Umstand, daß Birgit
eine Anwältin ist, die man irgendwann vielleicht gut brauchen könnte,
verhindert den endgültigen Bruch ihrer Freundschaft.
»Ich versteh dich nicht.«
»Mußt ja nicht alles verstehn.«
»Wovon lebt ihr denn?«
In diesem Moment dröhnt Henrys Stimme über den Strand. »Achtzig und
ne As. Mit zwei, Spiel drei, Schneider vier mal Herz – macht vierzig Pfennig
pro Mann und Nase!«
»Du schleppst ihn durch?«
»Er spielt ganz gut Karten.«
»Das darf doch nicht wahr sein.«
Den letzten Satz hat Henry gehört. »Wollnwawieder intrigieren,
Frollein Anwalt?«
»Halt bloß die Klappe.«
»Haste deine Tage? Oder sinds schon die Wechseljahre?«
»Hör auf, Henry.« Sofie wird das Ganze immer peinlicher.
»Hol uns maln paar Bier vom Kiosk, hm?«
»Hol sie dir doch selber!«
Martin mischt sich ein: »Ich hol das Bier.«
»Ah! Der edle Ritter!« Henry spottet ihm hinterher, wendet sich
danach wieder Birgit zu. »Was willstn du überhaupt hier?«
»Du hast ne Fahne.«
»Die willste?« Er schiebt seinen Mund nahe an ihren. »Kriegste aber
nicht.« Henry lacht, über einen seiner Ansicht nach gelungenen Witz. Verkündet,
er wolle ne
Runde schwimmen gehn. Sein Auftritt hat die beiden
Stiefschwestern einander wieder etwas nähergebracht. Birgit beichtet, sie sei
aus dem SDS ausgetreten. Als Anwältin wirke sie glaubwürdiger, wenn sie nicht
selber zu dem Haufen gehöre, den sie vielleicht mal verteidigen müsse.
»Warst eh immer nur ne Karteileiche, ’n Gesinnungszombie.« Gleich
tut Sofie das Gesagte leid, strenggenommen gibt es keinen Grund, Birgit
Vorwürfe zu machen. Wenigstens nicht auf privater Ebene. Sie hat Sofie
regelmäßig Geld angeboten, einfach so. Einmal hat Sofie es sogar angenommen,
ungern, aber es war nötig gewesen. Die beiden Frauen gehen am Strand spazieren.
Ob sie ihr was erzählen könne, fragt Sofie, ob das unter die anwaltliche
Schweigepflicht fiele?
»Spinnst du? Natürlich!«
Sofie flüstert. Zwei Freunde von ihr hätten ein Waffengeschäft
ausgeraubt.
»Das von Karins Onkel?«
»Ist doch egal, welches. Zwanzig scharfe Pistolen Marke Walther, mit Munition.«
»Und?«
»Das Zeug ist in meiner Wohnung.«
»Was? Bist du blöd?«
»Nenn mich nicht blöd! « Sofies Minderwertigkeitskomplex gegenüber Birgit
führt beinahe zum Gesprächsabbruch. Birgit bittet um Verzeihung, schon aus
Neugier.
»Olaf hatte nicht mehr die Traute, die Waffen anzubieten und zu
verkaufen. Also ging er zu Henry, bot ihm halbe-halbe. Der deponierte den Sack
in meinem Keller. Seitdem verkauft er. Stück für dreihundert Mark. Sieben oder
acht sind schon weg.«
»Sofie!«
»Er hat mich nicht mal gefragt. Ich hab den Sack zufällig entdeckt
und ihn zur Rede gestellt. Nimm dieses Zeug, hab ich gesagt – und verschwinde
aus meiner Wohnung! Darauf er: Wo soll ich denn hin? In drei Wochen bin ich den
Kram los und wir machen Urlaub. Spanien!«
»Sofie!«
»Ich weiß inzwischen, wie ich heiße. Sag mir lieber, was ich machen
soll.«
Birgit überlegt, und das nicht nur zum Schein. Es ist wirklich nicht
so einfach.
»Wenn du zu den Bullen gehst und sagst, wies war, hast du ne sehr
gute Chance auf Bewährung.«
»Kann ich nicht machen.«
Es findet sich keine bessere Lösung. Der Abend bricht herein, die
Badegäste kehren in die Innenstadt zurück.
Auf Band
Von Brücken bediente das Tonbandgerät neben seinem
Schreibtisch. Mir war es nicht geheuer, diese Aufnahmen zu hören, Sofie wurde
dadurch zu konkret. Ich hatte mir ihre Stimme nicht so dunkel und weich
vorgestellt. Das Ganze bekam einen obszönen Anstrich, den es wohl längst gehabt
hatte, der mir aber nie so deutlich zu Bewußtsein gekommen war. Vielleicht half
mir der Gedanke, daß am Ende der Arbeit ein Roman entstehen würde,
über manche ethische Schamschwellen zu beschwichtigend hinweg. Bisher konnte
ich immer noch mit der Möglichkeit hantieren, daß mir eine Fiktion präsentiert
wurde. Durch die akustische Beigabe rückte mir eine – wenngleich immer noch
scheinbare – Realität bedrohlich nahe, und ich spürte im Magen, wie mir etwas
mulmig wurde, verstand nun besser, warum man dort einst den Sitz der Seele
vermutet
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