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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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und Voltaire?
    Sofie: Hab ich beide nicht gelesen, muß man das?
    Alexander: Äh ….
    Sofie: Der Menschheit wäre viel erspart geblieben, wenn er Nero
getötet hätte, das steht fest. Aber es hätte sich dafür jemand anders zur
Verfügung stellen müssen. Die Denker sind zum Denken da, man kann von ihnen
nicht alles verlangen.
    Alexander: Du glaubst also, daß man mancher Dinge nicht Herr
wird, ohne Gewalt auszuüben?
    Sofie: Das glaube ich, in der Tat, aber es ist die Frage, ob
die Dinge sich objektiv genug beurteilen lassen, so objektiv, daß sich
irgendwer das Recht herausnehmen kann, durch Gewalt in ihren Verlauf
einzugreifen. Bei einem Ding wie Nero scheint mir die Frage rhetorischer Natur.
    Alexander: Und jetzt? Wer sollte denn jetzt getötet werden,
damit sich etwas ändert?
    Sofie: Das ist das Problem, es gibt keinen Kaiser mehr, die
Hydra hat Millionen Köpfe, Robespierre hat sich als letzter daran versucht, sie
alle abzuschlagen. Heute führt man Kampf gegen Systeme – und Systeme verändern
sich nur, wenn sich deren Bevölkerung in der Mehrheit damit unzufrieden zeigt,
oder wenn es im Krieg einem anderen System unterliegt.
    Alexander: Aber kann man mit der Mehrheit argumentieren? Das
hat mich an der Demokratie immer gestört. Ich empfinde Mehrheiten als
bedrohlich. Ich finde, viele sogenannte moralische Menschen handeln in Wahrheit
aus Angst und Eitelkeit so und so, daß sie sich die wenigsten Vorwürfe
einhandeln und das größtmögliche Lob.
    Sofie: Hmmhm.
    (An dieser Stelle
betreten mehrere Personen die Küche, es klirren Flaschen gegeneinander,
deutlich ist der Satz zu hören: Gibts denn kein Bier mehr? Etwa sieben Sekunden von Sofies Text werden
dadurch unverständlich.)
    Alexander: Wenn man gegen etwas vorgeht, ich meine, kann man
denn in irgendeiner Weise gegen irgendetwas vorgehen, handeln, ohne sich von
irgendwem irgendwelche Vorwürfe – einzuhandeln? Einhandeln und handeln, nah
verwandte Wörter. Und das ist das Schöne an der deutschen Sprache, in ihrer
Präzision steckt subtile Wahrheit. Handeln, Handel, alles, was man tut, ist
immer auch ein Geschäft, es gibt kein Geben ohne Nehmen.
    Sofie: Das ist mir zu sprachartistisch. Silbenklauberei. Ich
glaube, daß es immer Helden gab, die handelten, ohne dabei an sich zu denken.
    Alexander: Möglich ist das, nur eben nicht beweisbar.
    Sofie: Weißt du, Boris, ist ja angenehm, so hier mit dir zu
philosophieren, nur – es bringt mich keinen Schritt weiter.
    Alexander: Daß dir angenehm ist, siehst du also nicht als
Schritt weiter?
    Sofie: Nein. Es gibt etliche Möglichkeiten, um in dieser Zeit
schafsangenehm zu leben. Das hilft zwar mir, aber sonst niemandem.
    Alexander: Verstehe. Wirkliche Befriedigung gibt dir nur die
Einmischung in die Angelegenheiten anderer?
    Sofie: Was soll denn das nun für ein Scheiß sein? Hilfeleistung
ist doch nicht Einmischung.
    Alexander: Äh – warum nicht? Kann doch beides sein. Und ist
auch immer beides.
    Sofie: Das wird mir jetzt zu abgehoben. Das Problem ist
wahrscheinlich – es gibt unendlich viele Ebenen, von denen aus man über die
Menschheit und was nottut debattieren kann, aber man darf die nicht vermischen.
Um die Unterdrückung zu beseitigen, um helfen zu wollen, muß man denken wie ein
Arzt, oder eben wie ein Krieger. Ein Arzt oder ein Krieger muß sich an simple
Wahrheiten halten, um etwas zu erreichen, an ein schlichtes, aber gültiges und
effektives Wertesystem, aus dem sich pragmatische Konsequenzen ableiten lassen.
    Alexander: Es gibt aber eben nie nur eine Wahrheit.
    Sofie: Doch. Die muß es geben, eine grundlegende Wahrheit, die
Basiswahrheit, der kleinste gemeinsame Nenner der Menschlichkeit.
    Alexander: Die willst du finden und formulieren und danach
handeln?
    Sofie: Handeln. Das Wort gefällt mir jetzt nicht mehr, wo du es
mit deinem Geschäft so in den Dreck gezogen hast. Ich fühle, daß ich mich bald entscheiden muß, zu
irgendwas. Ich muß mich entscheiden, quasi ob ich jemandem in die Fresse haue
oder nicht.
    (Erneut
betritt eine – männliche – Person die Küche, anscheinend beginnt diese Person,
stark angetrunken, Sofie zu belästigen, zu hören ist, wie Sofie Benimm dich! ruft.
Die schnaufende, fast grunzende Person verliert anscheinend das Gleichgewicht
und stolpert gegen die Tischkante, stößt einen winselnden Laut aus und verläßt
die Küche wieder. )
    Alexander: Warum ist dir die Menschheit eigentlich so wichtig?
    Sofie: Was soll denn die Frage? Ich bin dochn Teil von ihr?

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