Eros
Du etwa nicht?
Alexander: Man kann ja auch ein Teil des Kosmos sein oder des
Sonnensystems oder der Erde oder einer Nation oder einer Sippe, einer Familie
oder einer Zweierbeziehung. Oder ganz für sich existieren.
Sofie: Das wäre Narzißmus. Egoismus. Hast du nicht vorhin dafür
plädiert, Seneca hätte Nero töten sollen? Worauf willst du jetzt hinaus?
Eskapismus? Flucht ins Private?
Alexander: Vorhin redete ich wie vorhin, und jetzt wie jetzt.
Die Dummheit bekämpfen zu wollen, erscheint mir manchmal als Symptom einer viel
größeren Dummheit. Ich möchte mir gerne die Freiheit erhalten, mal so zu
argumentieren, mal anders, weil sich mein Denken nicht an Schablonen klammert,
weil es mit jeder Minute seine Richtung ändert, und weil ich mit jeder Minute
zu einem anderen Menschen werde. Was ich ziemlich aufregend finde.
Sofie: Haltlos umgetrieben, würde ich das nennen. Verwirrt
taumeln, prinzipienlos von da nach dort schwanken. Wankelmütig sein.
Unpolitisch.
Alexander: Bitte, gerne. Mit Prinzipien sollte man haushalten.
Sofie: Individualistische Hybris führt zu gar nichts. Du nimmst
dich selbst einfach zu wichtig, das ist dein Problem!
Alexander: Ich sehe nicht ein, warum ich weniger wichtig sein
sollte als sonstwer auf diesem Planeten. Gut, Künstler, die geben der Welt viel
mehr als ich, das respektiere ich. Die Beatles …
Sofie: Nicht die schon wieder! Ich sag ja gar nicht, daß du als
Taxifahrer weniger wichtig bist, als sonstwer, nur, im Umkehrschluß, ist jeder
Mensch so wichtig wie du, und es besteht eine Verpflichtung, jenen zu helfen,
die leiden.
Alexander: Das tue ich.
Sofie: Du? Wie denn?
Alexander: Ich spende.
Sofie: Na toll. Damit kommst du dir wohl noch sehr generös vor?
Alexander: Ich spende ziemlich viel. Wenn jeder soviel spenden
würde wie ich –
Sofie: Tschuldigung, aber wir zwei kommen einfach nicht
zusammen, okay? Du ziehst alles so runter, auf sone Klingelbeutelebene.
Alexander: Und? Das ist unsexy, oder? Geld hilft immer. Politik
eher selten. Wer genug Geld hat, kann davon etwas abgeben. Wer Macht besitzt,
klammert sich daran. Gib guten Menschen Macht und –
Sofie: Was redest du für einen Scheiß? Glaubst du, wenn du von
deinem Taxifahrersalär den Zehnten spendest, ist der Welt damit geholfen, und dein
Gewissen hatn flaumgefülltes Ruhekissen? Glaubst du das?
Alexander: Hör doch mal –
Sofie: Was treibst du denn, wenn du nicht Taxi –
Alexander: Ich mag dieses Lied. Hast du Lust, zu tanzen?
Sofie: Hier? In der Küche?
Alexander: Warum nicht?
Ende Extemporat
Action
Juli 67. Nähe Hermannplatz. Dunkelheit.
Taschenlampenkegel. Schriller Alarm geht los. Karin und Olaf rauben ein
Waffengeschäft aus. Tragen Strumpfmasken, haben binnen fünfundzwanzig Sekunden
einen Nikolaussack voller Pistolen und Munition erbeutet, dazu ein sogenanntes Artus-Schwert mit leicht geschärfter Doppelklinge, ohne echten Nutzen für die Revolution,
Olaf erfüllt sich einen Kindheitstraum damit. Sie verlassen das Geschäft,
welches Karins Onkel gehört, durchs eingeschmissene Schaufenster, werfen die
Beute in ihren Peugeot, fahren in Richtung Columbiadamm, biegen neben einer
Schrebergartensiedlung ein, parken den Wagen an der Mauer zu den
Bergmannfriedhöfen. Warten, lauschen auf Polizeisirenen, die nicht erklingen,
niemand hat sie verfolgt. Beide ziehen ihre Damenstrümpfe vom Kopf und johlen
begeistert. Olaf reckt das Schwert empor. Es sieht kindisch aus, nur Karin
findet es so geil, daß sie auf sofortiger Befriedigung besteht.
Am Wannseestrand, Hochsommer. Martin, Olaf, Karin, Holger,
Birgit, Henry und Sofie in Badeklamotten. Sofie trägt Sonnenbrille, was ihr
blaues Auge kaum kaschiert.
Olaf, Holger und Henry spielen Skat. Karin bräunt sich. Neben ihr
ein Kofferradio.
Es gibt auf SFB Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen . Gefällt Karin nicht, sie
dreht weiter, erwischt die Stimme Rudi Dutschkes: Wir wissen sehr genau, daß es viele
Genossinnen und Genossen im Verband gibt, die nicht mehr bereit sind,
abstrakten Sozialismus, der nichts mit der eigenen Lebenstätigkeit zu tun hat,
als politische Haltung zu akzeptieren … Das Sich-Verweigern in den eigenen
Institutionenmilieus erfordert Guerilla-Mentalität, sollen nicht Integration
und Zynismus die nächste Station sein.
Auch dies vermag Karin nicht auf Dauer zu unterhalten, endlich
erwischt sie auf RIAS was Rockiges von Iron Butterfly.
Birgit hat sich einen Tag freigenommen, um mal wieder mit
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