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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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ein, daß er die
Aktion für heute versaut hatte, und trollte sich. Leider war die Angelegenheit
damit für Sofie noch nicht erledigt.«
    Tonband 11. September 1967, abends, Wohnung Mehringdamm – Küche
    –  Henry: Hörma, ich bin dir nicht böse, im Gegenteil,
das warn Bulle, das hab ich gerochen. Ich wär dir also sogar richtig dankbar.
Wennde mir jetzt sagst, wo die Ware ist.
    –  Sofie: Ich hab wirklich nichts gemacht.
    –  Henry: Echt nicht?
    –  Sofie: Echt nicht.
    –  Henry: Wars deine verkackte Schwester? Hat die nen
Schlüssel zum Keller?
    –  Sofie: Nein.
    –  Henry: Wer hat denn einen?
    –  Sofie: Ich weiß es doch nicht.
    (Klatschendes
Geräusch)
    –  Henry: So nicht – nicht mit mir!
    –  Sofie: Ich wars nicht!
    –  Henry: Brüll hier nicht rum!
    »Henry begann, sie zu schlagen, beließ es nicht bei den
zur Routine gewordenen Ohrfeigen, er prügelte auf sie ein. Ich hörte meine
Geliebte schreien und weinen. Ich frage nochmal: Was hätten Sie getan?«
    Von Brücken machte eine Pause. Er schien die Situation noch einmal
nachzuerleben, seine Augwinkel wurden feucht. Er war so bewegt, daß er nicht
weitersprechen konnte und außerhalb seiner Gewohnheit in meiner Gegenwart eine
Tablette schluckte. Vor dem Fenster hatte neuer Schneefall eingesetzt, und ich
schlug vor, für heute Schluß zu machen.
    »Nein, nein«, flüsterte er, sichtlich mitgenommen, es gehe schon. Er
bat um Verzeihung für seine Unkontrolliertheit. Selbstverständlich sei er
losgelaufen, quer über die Straße, sei die drei Treppen hinaufgehetzt und habe
an Sofies Wohnung geklingelt. Ganz allein, wie er betonte. Weil ihm niemand geöffnet
habe, habe er den Nachschlüssel verwendet.
    »Sie hatten einen Nachschlüssel? Woher denn?«
    »Ach, junger Freund, das ist doch wirklich nicht der Rede wert. Ein
Mietshaus! Ich betrat die Wohnung, da waren die beiden im Schlafzimmer. Sofie,
aus der Nase blutend, kniete auf dem Parkett, mit Henrys zur Faust geballten
Fingern in ihrem Haar. Hören Sie sichs an!«
    Tonband 11. September 1967, abends, Wohnung Mehringdamm – Schlafzimmer
    –  Henry: Wer ist das denn? Wie kommt der hier rein?
    –  Alexander: Laß sie los, Drecksau!
    –  Sofie: Boris?
    –  Henry: Den kenn ich doch! Menschmenschmensch. Das
ist doch der … Das ist dieser Taxifahrer!
    Henry war so verblüfft, daß er Sofie tatsächlich losließ
und zweimal laut auf den Boden stampfte, bevor er auf mich zurannte. Was für
ein Ungetüm von Mensch. Ich drehte mich um und rannte die drei Stockwerke
wieder hinunter. Er hatte den Wohnungsschlüssel in meiner Hand gesehen und
hielt mich wohl nicht nur für den Dieb seiner Pistolen, sondern auch für den
heimlichen Verehrer seiner Freundin. Nebenbei hatte er auch noch recht damit!
Trotz aller Angst um meine Gesundheit – selten habe ich solch eine Euphorie
gespürt. Diese Mischung aus Angst und Euphorie, ganz seltsam. Ich rannte auf
die Straße hinaus, überquerte, ohne nach links und rechts zu sehen, den viel
befahrenen Mehringdamm, Henry war keine drei Meter hinter mir, und plötzlich
war der Bus über ihm, ich höre noch heute den dumpfen Schlag und das Geräusch
seiner brechenden Knochen, das Schleifgeräusch, das Geräusch zerreißender Kleidung
und wie sich Fleisch und Asphalt aneinander reiben, das entsetzte Brüllen der
Passanten. Plötzlich war alles um mich her wie in Zeitlupe und schwerelos, aber
grausam, ich weiß nicht, neben mir stand eine Litfaßsäule und lachte. Ist
dergleichen Ihnen je geschehen? Nein? Die Leute im orangerot beleuchteten
Straßencafé waren alle aufgestanden, glotzten, ich sah Sofie aus dem Haus
laufen, sie stürzte sich auf den Toten, kniete vor ihm, nahm seinen Kopf in den
Arm.
    Zwei Tränen rannen Alexander über die Wangen.
    »Was sollte ich nur tun? Was hätten Sie getan? Ich rannte davon.«
    »Es war ein Unfall?«
    »Ja. Sei denn, Gott fährt hin und wieder Bus.«
    »Und dann? Liefen Sie einfach weg?«
    »Sollte ich warten, bis die Polizei kommt? Meine Personalien
aufnimmt? Obwohl es – objektiv gesehen – ein Unfall war, gab ich mir die
Schuld. Vielleicht zu Recht.«
    Von Brücken wirkte erschöpft, sein schlaffes Augenlid zitterte und
er nahm sich ein Glas Portwein, stürzte es gierig hinab.
    »In dieser Nacht verschrotteten wir das Taxi. Die Pistolen landeten
im Kanal, Martin ging für ein Jahr nach Marokko, das wollte er immer, ich zog
mich hierher zurück, um nachzudenken. Sylvia erledigte das

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