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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Wohnung in
der Prinzenstraße.
    »Schön, daß wir uns wieder übern Weg gelaufen sind«, meint Lukian
und hilft seinem Gast aus dem abgeschabten Lammfellmantel. Sofie kann diese
Geste der Galanterie nicht leiden, stößt seine Hand weg, dann entschuldigt sie
sich dafür.
    »Sorry. Ich muß nen merkwürdigen Eindruck auf dich machen.«
    »Hast du immer getan. Im besten Sinne.«
    »Danke. Hast du was zu trinken?«
    »Was möchtest du?«
    »Wein?«
    »Roter Italiener?« Lukian entkorkt eine Flasche hochklassigen
Primitivo Puglia, was, wie er denkt, nicht verdächtig wirken kann, es steht ja Primitivo drauf.
    Sofie läßt sich aufs Sofa fallen, seufzt. Wühlt mit beiden Händen in
ihrem Haar, als wäre es zu schwer. »Irgendwie hab ich das Gefühl, ich kann dir
was erzählen. Luc? Du arbeitest nicht für die Bullen, oder?«
    »Nein.«
    »Springerpresse?«
    »Auch nicht.«
    Einstweilen beruhigt setzt Sofie das Glas an den Mund und trinkt es
in einem Zug aus, äußert sich nicht mal mimisch zur Qualität des Weins.
    »Holger hat mich geschaßt. Holger wohnt bei mir, deswegen geh ich
nicht mehr gerne nach Hause. Es ist schwierig. Holger bekommt nen monatlichen
Scheck aus’m Osten. Das hab ich rausgekriegt. Versehentlich, weil ich in seinen
Sachen gekramt hab, das war keine böse Absicht.«
    »Wer ist Holger?«
    »Sone Art … Vorgesetzter. Von der Marxisten-Leninisten-Fraktion.
Mein Freund ist letztes Jahr gestorben, aber meine Wohnung wird vom SDS
weiterbenutzt.«
    »Ähmm?« Lukian gibt zu erkennen, daß er Bahnhof versteht.
    »Die behandeln mich wie ein Schaf. Weißt du, der SDS droht zu
zersplittern, Holger ist vom anderen Flügel, dem gewaltbereiten Flügel. Seit
dem Attentat auf Dutschke haben die Pazifisten bei uns nicht mehr sehr viel zu
sagen. Und Holger hockt in meiner Bude und läßt es sich gutgehen. Jetzt häng
ich mit drin. Meine Bleibe ist quasi ne Pension, wird operativ genutzt.«
    »Von wem?«
    »Mußte nicht wissen. Kannst dir doch denken.«
    Lukian nickt. Halb verständnisvoll, halb besorgt.
    »Ich hab alles so satt, ich wollte zwischendurch sogar in meinen
alten Job zurück. Aber keiner nimmt ne Kindergärtnerin, die Aktivistin war.
Mein Telefon wird, glaub ich, angezapft. Ich halts in der Wohnung nicht mehr
aus. Olaf haben sie geschnappt, weil er unbedingt son blödes Artus-Schwert
mitgehen lassen mußte.«
    »Artusschwert? Wer ist Olaf?«
    »Natürlich hat er gequatscht, hat alles auf Henry geschoben.«
    »Henry?«
    »Mein toter Freund. Kam untern Bus. Er hatte seine Fehler, aber das
wünsch ich keinem – vollgespritzt zu werden mit dem Blut – ich sollte
eigentlich keinen Rotwein trinken. Naja, inzwischen gehts … Jedenfalls.
Seitdem ham mich die Bullen aufm Kieker. Ich weiß nicht mehr weiter. Wenn ich
maule, drohn sie, mir was anzuhängen.«
    »Die Bullen?«
    »Nein, meine Genossen.«
    »Schöne Genossen.«
    Sofie erzählt von den Grabenkämpfen im SDS, vom Streit der
Castroisten, Maoisten, Anarcho-Syndikalisten, Trotzkisten, Leninisten und
Marcuse-Anhängern. Von Emanzipationsdebatten, von ihrer Arbeit im »Aktionsrat
zur Befreiung der Frau«, (»Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen
Schwänzen!«) , von den vielen Machoschweinen unter den
Revolutionären, halbe Wilde, sexgeile Säufer, kaum besser als
Burschenschaftler. Frauen, die Gewaltfreiheit propagierten, würden die nicht
ernstnehmen und als »Kindergärtnerinnen« diffamieren. Sie erzählt von Frauen,
die sich mit der Illegalität einließen, nur um von den Männern anerkannt zu
werden. Von haufenweise Egoscheiße, die unter dem Zelt der Revolte am Dampfen
und Stinken sei. Vom Frühsommer, als in Paris der Umsturz so nahe schien, so
nahe, und dann doch wieder in weite Ferne gerückt sei, weil man im
entscheidenden Moment gezögert und gestritten habe, jetzt schlage das Bürgertum
zurück, es sei ein Alptraum, man habe die Arbeiterschaft bereits verloren, was
außer ihr niemand wahrhaben wolle. Alle würden sie defätistisch nennen, ein
Verbrechen, fast so schlimm, als habe sie unter den Nazis Zweifel am Endsieg
geäußert. Der idiotische Einmarsch der Russen in Prag habe viele ernüchtert,
aus einem wohlfeilen Traum herausgerissen. Das Problem sei auch, daß sie zu alt
sei für diese Generation, zu belastet von Erfahrungen. Manchmal, sagt sie,
träume sie davon, einfach abzuhauen, ganz weit weg. Nach diesem Fazit ist die
Flasche leer.
    »Ist das wirklich dein Wunsch? Wegzugehen?«
    »Ich weiß nicht. Dann

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