Eros
er, ließ Tee kommen, dem Geruch nach Fencheltee, in den er einen
winzigen Schuß Kognak gab.
»Sie auch?«
»Danke, nein.«
»Erst Tage später, nachdem er sie in der ganzen Stadt vergeblich
gesucht hatte, hielt Luki es für nötig, mich von diesem Debakel zu
unterrichten.«
– Ich hab sie verloren.
– Wie meinst du das?
– Ich hab Mist gebaut, Alex. Großen Mist.
– Was erwartest du?
– Hilf mir!
– Nein.
»Sie haben ihm nicht geholfen?«
»Wozu? Er hatte sich an meine Stelle gesetzt, jetzt kam er
angekrochen und wußte nicht mehr weiter. Ich war wütend über das, was passiert
war. Meine arme Geliebte. Warum konnte er sich mit Sofie nicht zufrieden geben,
warum mußte er ihr Foto behalten? Sie mußte ja wahnsinnig werden vor Angst.
Die harmloseste Variante, die sie sich ausdenken konnte, um die Existenz jenes
Fotos zu erklären, war immer noch schlimm genug, um jegliches Vertrauen in die
Wirklichkeit zu verlieren.«
Ende der Habhaftigkeit
Nach einem dreitägigen Aufenthalt bei Birgit, der in einem
Eklat endet, kehrt Sofie in ihre Wohnung am Mehringdamm zurück. Sie leistet bei
Holger Abbitte, übt Selbstkritik, wird gnädig aufgenommen, nachdem sie erklärt,
von nun an für den aktiven Kampf bereit zu sein. Wenige Tage später verläßt sie
Berlin, geht in den Untergrund, um Teil einer revolutionären Zelle zu werden.
Im Februar 1969 nimmt sie an ihrem ersten Bankraub teil. Die
Revolution braucht Geld. Der Überfall in der Sparkassenfiliale Krefeld-West
gelingt. Alle Täter bleiben unerkannt. Die Beute beträgt etwa 30.000 Mark. Es
dauert noch mehr als ein Jahr, bis Sofies Name auf die Fahndungsliste gerät.
Bei der Durchleuchtung ihrer ehemaligen persönlichen Verhältnisse fällt dem BKA
Lukian Keferloher auf, bzw. dessen Doppelleben als Lektor und gewesenes
Vorstandsmitglied der Von-Brücken-Werke. Obwohl ihm nichts Illegales
nachzuweisen ist, gilt er fortan als dubios und wird einer dauerhaften
Observierung für würdig befunden. Wie andere sich ins Privatleben zurückziehen,
zieht Lukian sich in die Firmenleitung zurück, wird, diesmal offiziell, Privatsekretär bei Alexander
von Brücken und zugleich Generaldirektor mit nicht definiertem Aufgabengebiet.
Im März 1972 heiratet er Sylvia Tanner.
»Lukian hat sich seinen Fehler nie verziehen, schlimmer
noch, er sah diesen Fehler nicht einfach als Fehler, sondern als Eingriff des
Schicksals. Selbstverständlich liebte er Sofie nach wie vor, doch konnte er
nichts mehr für sie tun. Der einzige, der wenigstens theoretisch noch
Möglichkeiten besaß, etwas für sie zu tun, war ich. Aber dazu hätte es riesiger
Anstrengungen bedurft, finanzieller und logistischer Art. Bislang war Sofie,
verzeihen Sie das Wort, habhaft gewesen, und sie zu überwachen war sicher unfein,
aber simpel und vor allem: nicht verboten. Man mußte ein paar Leute bezahlen,
ein paar Techniker, mußte ein paar niedere Beamte schmieren, das ist nicht so
arg teuer. Jetzt war es anders. Um sie zu finden, hätten wir mit der Polizei
konkurrieren müssen, hätten V-Männer in die Szene schleusen müssen, die,
vielleicht, ganz vielleicht, unter Inkaufnahme eines hohen persönlichen
Risikos, irgendwann Zugang zu ihr gefunden hätten. Aber Leute in die
Illegalität zu schicken, das ist ein anderes Kaliber, ich meine, sicher hätte
ich Freiwillige gefunden, für ausreichend Geld machen Menschen einfach alles.
Doch das war selbst für mich ein zu gewagtes Spiel, es hätte mich erpreßbar
gemacht, zu viele hätten Fragen gestellt oder hätten eingeweiht werden müssen,
in der Firma hätte es Widerstand gegeben, die Polizei hätte Wind davon
bekommen, kurzum – es war nicht machbar. Was machbar war, machten wir ja, wir
nahmen zum Beispiel Kontakt zu Birgit Kramer auf, die jetzt Birgit Felsenstein
hieß, in eine vornehme Charlottenburger Familie geheiratet hatte und ganz den
Reizen der Bürgerlichkeit erlegen war.
Den Mann, den ich zu ihr schickte, hielt sie für einen
Polizeispitzel, obwohl er sich als Privatdetektiv ausgab. Selbst wenn sich
Sofie mal bei ihr gemeldet hätte, hätte Birgit keinen Grund gehabt, uns davon
zu berichten. Darüberhinaus schien die Verbindung der beiden Stiefschwestern
endgültig zerrüttet.
Sofie blieb verschwunden. Ich hörte Wagner, den ich zuvor nicht
gemocht hatte, mit anderen Ohren. Wir waren keine Götter mehr, höchstens noch
Titanen, aber kastrierte. Der Polizeistaat, den die Demonstranten einst beklagt
hatten, war nichts
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