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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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gegen den Polizeistaat, der nun entstanden war, mit stark
verbesserten Möglichkeiten. Die Welt begann sich zu vernetzen, wurde
engmaschiger. Die Fahndungstechniken wurden raffinierter, im selben Maß wie die
Revolutionäre sich radikalisierten und von Steineschmeißern zu Terroristen
wurden.
    Lukian heiratete Sylvia in der Meinung, damit wenigstens einem
Menschen etwas Gutes zu tun. Das klingt vielleicht einfältig, doch stimmte es,
Sylvia wurde recht glücklich mit ihm. Umgekehrt war es nicht ganz so, aber
Lukian kaschierte das. Seine Haltung war die eines guten Verlierers, der, wenn
er das eine verloren hat, zum nächsten greift. Man konnte ihn beneiden um das
Pragmatische, das ihm tief in seinem Wesen anerzogen worden war.
    Die große Bewegung löste sich auf, versickerte im Untergrund, es
entstand der sehr bequeme Nebenberuf des unverbindlichen Sympathisanten, die
führenden Terroristen wurden gefaßt, wir bekamen die Olympischen Spiele nach
München, wurden zwei Jahre später, ebenfalls in München, Fußballweltmeister.
München wurde zu einer Art Stadt der Anti-Bewegung. Sie haben mal in einem
Essay geschrieben, daß Sie sich als Achtjähriger an die Zeitungsjungen erinnern
können, die vor dem Hertie-Hochhaus in München- Schwabing eine Extraausgabe
verteilten, wissen Sie noch? Es ging um die Verhaftung Gudrun Ensslins.«
    »Ich weiß. Selbst meine völlig unpolitische Mutter hat eine Zeitung
gekauft. Es herrschte Festtagsstimmung auf der Straße.«
    »Dadurch bin ich auf Sie gekommen. Ist Ihnen bewußt, daß das die
allerletzte Extraausgabe einer Zeitung hierzulande war?«
    »Nein, ehrlich gesagt, nicht. Wirklich?«
    »Kann man sich heute kaum vorstellen, wieviel Furcht ein paar
bewaffnete Individualisten erzeugten, darunter eine schmale und hübsche Frau
wie die Ensslin. Mit der RAF hatte Sofie nie etwas zu tun, sie gehörte, wenn
überhaupt, das alles ist ziemlich unklar, dem Umfeld des 2. Juni an. Für die
ängstlichen Bürger war das alles ein und dieselbe Mischpoke. Oh, ich hatte
Angst um meine Geliebte, manchmal wünschte ich sogar, sie würde gefaßt werden,
damit ich etwas für sie tun konnte. Aber irgendwie entging sie allen
Fahndungen, das erfüllte mich mit einer Art Stolz. Vielleicht hatte sie sich
ins ferne Ausland abgesetzt. An den bekannten terroristischen Anschlägen schien
sie sich nicht beteiligt zu haben, ihr Name tauchte in diesem Zusammenhang nie
auf. Im Grunde suchte man sie wegen einiger Banküberfälle, mehr nicht. Ich
konnte mir gut vorstellen, daß sie mit ihrem Wesen schnell zum Außenseiter
geworden war unter den Mitkämpfern. Womöglich war sie bereits tot? Der Mord am
angeblichen Verräter Schmücker ließ vieles möglich erscheinen. Als es Gerüchte
gab, einige Terroristen würden im Jemen eine Kampfausbildung erhalten, suchte
ich über Strohmänner Kontakte zu dortigen Regierungsstellen, offiziell ging es
natürlich um Rüstungsexporte, wenngleich in meinen Werken niemals Waffen
hergestellt wurden, das hatte ich gegen den Willen des Vorstands durchgesetzt.
Aber wir produzierten dies und das, was uns Türen dahin und dorthin öffnete.
Nebenbei – das Vermächtnis meines Vaters, den eiförmigen Privatbunker, ließ ich
Wirklichkeit werden, fragen Sie mich nicht, warum, es wurden hundert Stück
gefertigt, zu einem Stückpreis von 364.000 Mark. Binnen zweier Jahre wurden alle
verkauft. Es war kein rentables Geschäft, mehr ein sentimentales, groteskes.«
    »Ich möchte Sie doch gerne fragen, warum Sie das taten.«
    »Das habe ich befürchtet. Nun vielleicht, das klingt jetzt komplett
meschugge, aber wenn mein Vater mir zusah, irgendwo, konnte er daraufhin den
Fluch zurücknehmen, den er zwar bestimmt nie gegen mich ausgestoßen hat, der
aber offenbar über meinem Leben hing. Verrückt genug? Außerdem mußte ich mich
irgendwie beschäftigen.«
    »Sie würden mich nie verarschen, oder?«
    »Nein, das wäre eine Dummheit. Man muß gut sein zu Menschen, die
einen überleben werden.«
    »Machiavelli?«
    »Nein, Eigenbau. Holger übrigens wurde früh geschnappt, bekam drei
Jahre Knast und schwor seinen überkommenen Überzeugungen ab, wie so viele
andere auch, rasierte sich und wurde Therapeut. Wir kontaktierten ihn trotzdem,
er brauchte Geld für einen Neuanfang, es existierten massenweise Kisten mit
Papieren, Protokollen, Rechnungen, alten Flugblättern, alle in Plastiktüten
abgepackt, vor der Beschlagnahmung durch die Polizei gerettet, als die Wohnung
am Mehringdamm aufgegeben

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