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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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wurde. So kamen wir an Sofies Tagebuch. Es umfaßt den
Zeitraum von Mai 1965 bis Januar 1968. Ich habe lange gezögert, dieses Tagebuch
zu lesen. Gottseidank ist es nicht sehr intim, sie hat es nur sporadisch, fast
leidenschaftslos geführt, mehr als Erinnerungsstütze denn als Beichtschrift,
und oft waren die Einträge seltsam karg oder gar banal. Ich zögere auch jetzt,
es Ihnen zur Verfügung zu stellen, das heißt, ich habe mit mir gerungen und überreiche
es Ihnen mit dem ausdrücklichen Wunsch, daß Sie keine Details daraus verwenden,
die über das sozusagen geschichtliche Interesse an Sofies Person hinausgehen.«
    »Danke.«
    Alexander überreichte mir eine fadengebundene Kladde, darin fanden
sich auf etwa siebzig Seiten Eintragungen, mit lila Tinte notiert, die über
zweieinhalb Jahre hinweg Auskunft über Sofies Befindlichkeiten boten. Bis auf
eine einzige Ausnahme, die Eintragung zum 3. Juni 1967, habe ich davon keinen
Gebrauch gemacht. Was dort geschrieben stand, war entweder zu banal oder zu
persönlich. Nützliche Informationen flossen in veränderter Gestalt in den Text
ein.
    Blaubeersaft mit Honig
    Die Jahre vergingen, 1971, 1972, 1973, 1974, 1975. Um
jedes einzeln aufzuzählen. Man müßte jeden Monat einzeln aufzählen, jeden Tag,
jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde – um darzustellen, wieviel Sinnlosigkeit
abzusitzen war. Die Beatles hatten sich aufgelöst, ich machte ihnen
phantastische Angebote für eine Wiedervereinigungstournee, erfolglos. Die
hatten Geld nicht nötig. George Harrison sandte mir sein signiertes Soloalbum. All things must pass .
Ich war in dieser Zeit kaum einmal repräsentativ unterwegs, eigentlich nie,
mein Ruf eines schrulligen Eigenbrötlers, der, versteckt von der Welt, als
dunkelgraue Eminenz existierte, wurde vom Gerücht zur Legende. Mein Reichtum
wuchs, verdoppelte sich alle drei Jahre, ohne daß ich viel dazu tun mußte. Mein
weithin verhaßter Name wurde zum Inbegriff des spätkapitalistischen Diktators.
Dabei hockte ich nicht etwa auf meinem Geld wie Dagobert Duck, nur wurden meine
philantropischen Exzesse nie gewürdigt. Irgendwie wohl zu Recht, denn ich
spendete ohne Inbrunst, schleuderte die Summen von mir, quasi um mich zu
erleichtern, und ich machte selten darauf aufmerksam. War ja ganz egal. Ich
betäubte die Stunden mit dicken Romanen und Mahlers Symphonien. Lukian war der
einzige Mensch, den ich in meiner näheren Umgebung duldete, wie einen
Mitgefangenen. Sylvia Keferloher, geborene Tanner, starb an
Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wir hatten sie in die Staaten geflogen, zu den besten
Ärzten, es war vergebens. Auf dem Sterbebett redete sie wirres Zeug, verfluchte
die Welt, sah Engel, die halbe Purpurschnecken waren, und bat um Blaubeersaft
mit Honig. Wir hielten abwechselnd ihre Hand, es gab peinliche Szenen, als sie
uns vorwarf, wir täten ja nur so, täuschten alles nur vor, meinten es nicht
ernst, würden uns von hier, von ihr, wegwünschen, ach, wie lieb ich euch hab,
ihr Kinder! Bis zuletzt sprach sie davon, wie lieb sie uns hatte.
    Es ging mir sehr sehr nahe. Dennoch – als sie unabwendbar im Sterben
lag, dachte ich an ein Geschäft mit Gott oder den Göttern, ich war da längst
flexibel, nehmt Sylvia, laßt Sofie leben! Hand drauf! Abgemacht.
    Luki nahm ihren Tod äußerlich gefaßt, aber er hatte sich sehr an sie
gewöhnt gehabt. Seine Trauer war echt. Meine ja auch. Wenngleich es eine Trauer
war, die nur zur Hälfte Sylvia galt, zur anderen Hälfte der tragischen
Unmöglichkeit, mit Sylvia glücklich gewesen zu sein. Ich beschloß, mir künftig
viel mehr einzureden. Glück hat auch mit Selbstbetrug zu tun, erkannte ich. Dr.
Fröhlich hatte recht gehabt. Betrug ist nichts einseitig Negatives, es gibt
dabei immer einen Verlierer und einen Gewinner, und wenn der Selbstbetrug
geschickt genug eingefädelt ist, schwitzt man den Verlierer aus sich aus und
gönnt dem Gewinner einen Triumphmarsch. Daß ich mich für Ölgemälde
interessierte, und zwar brennend, redete ich mir ein, und bald war dem wirklich
so. Das war eine ganz gute Beschäftigung, täglich Auktionskataloge aus der
ganzen Welt wälzen, Gebote über Telefon abgeben, jagen und sammeln und dabei
wegen der rasanten Wertsteigerung der alten Meister auch noch Gewinn machen.
Naja, ein paar Wochen lang hielt der Spaß vor. Dann folgte ein anderer Spaß und
der nächste. Ich lebte nicht, ich vegetierte, allerdings prachtvoll, dahin. Und
dann geschah etwas, das so unfaßbar war, als wäre – mir

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