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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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fällt kein passender
Vergleich ein, Ihnen wird sicher einer einfallen. Das Telefon klingelte, ich
nahm den Hörer ab, und die nette Telefonistin aus der Münchner Werkzentrale,
ihr Name ist mir entfallen, entschuldigte sich für die Störung, es sei eine
Person in der Leitung, die mich un-be-dingt sprechen wolle, namens Sofie Kurtz.
Sie habe sich partout nicht abwimmeln lassen. Ob der Anruf durchgestellt werden
solle?
    Ganz hohe Töne
    In einer angemieteten Zweizimmerwohnung, irgendwo am
Stadtrand von Herne, Januar 1976. Sofie trinkt badischen Weißwein aus der
Flasche, hockt einsam in der Ecke, auf einer nackten Matratze. Die Vorhänge
sind zugezogen. Außer ihr befinden sich zwei Männer und eine Frau im Raum, die
im winzigen Schwarz-Weiß-Fernseher eine Aktenzeichen-XY-Sendung verfolgen. Die
Frau wirft Sofie alle paar Minuten einen mahnenden Beißblick an die Kehle.
Sofie kümmert das nicht. Vom Schnaps ist sie weg, hat damit die ultimative
Bedingung der Gruppe an sie erfüllt. Das hier ist bloß Weißwein und ihre erste
Flasche heute. Es wird bei anderthalb bleiben, das ist eine vernünftige,
allgemeinverträgliche Dosis. Die Aktenzeichen XY-Sendung geht zu Ende, ohne daß
über den Banküberfall in Recklinghausen berichtet wird, wahrscheinlich war die
Beute zu gering, keine neuntausend Mark. Vor Aktenzeichen XY – der beliebten
Freitagabendsendung für den bundesdeutschen Hobbydenunzianten – haben alle eine
Schweineangst, Tausende Hinweise gehen nach jeder Sendung ein, auch brauchbare,
die Leute haben Augen überall.
    Sofie torkelt ins Bad, besieht sich ihr ausgezehrtes Gesicht im
Spiegel. Bald wird sie 45 Jahre alt sein, 15 Jahre älter als der Nächstjüngere in
ihrer Gruppe. Die Banken horten nicht mehr soviel Bares wie früher, man muß in
immer kürzeren Abständen Haushaltsgeld besorgen. Und ein Gutteil davon muß an
die harten Kämpfer abgetreten werden. Sofies Gruppe dient allein dem
finanziellen Nachschub, außer ihr selbst wird niemand steckbrieflich gesucht.
Ihre Trunksucht war den anderen als Sicherheitsrisiko erschienen, sie hatte
versprechen müssen, vom Schnaps herunterzukommen, sonst hätte ihr die Abstoßung gedroht.
    »Ich hab keinen Nerv mehr für Banküberfälle«, sagt sie dem Spiegel,
der diesen Satz Wort für Wort wiederholt, nur stumm und sichtlich gequält.
    »Du machst das gut. Solang du keinen sitzen hast.« Der Mann ganz
hinten im Spiegel heißt Jacob, 28. Wäre er etwas aufgedunsener, würde er dem
Filmemacher Faßbinder ähneln.
    Jacob hat Verbindungen, die der Gruppe zweimal im Jahr neue Pässe
eintragen, so perfekt gefälscht, daß noch bei keiner Straßenkontrolle etwas
dran auszusetzen war.
    »Wir müßten mal was Kreatives unternehmen«, meint Sofie. Nicht
diesen Kleinmist. Das Risiko würde immer größer, die Erträge würden immer
geringer. Lange gehe das nicht mehr gut.
    Das findet Jacob auch und lächelt, legt eine schmale Mappe neben das
Waschbecken. Ein Vorschlag von oben. Sie solle sich das mal ansehen. Es betreffe sie persönlich.
    »Mich?« Sofie ist mißtrauisch gegenüber allem, was sie persönlich
betrifft. Rechnet ständig mit dem Schlimmsten. Traut keinem aus dem Haufen.
Zögernd nimmt sie die Mappe, blättert darin.
    Jacob beobachtet sie genau. »Du hast ihn doch mal gekannt. Stimmts?«
    Sofie wirkt nervös, hat einen Frosch im Hals, blinzelt heftig.
    »Das ist Jahrzehnte her, Mensch. Der erinnert sich bestimmt nicht
mehr an mich.«
    »Stell dir mal vor, wieviel das einbringen würde. Und beinahe ohne
Risiko. Sofern er drauf eingeht. Wir sollten es probieren. Das ganz große Ding.
Danach kannst du in Rente.«
    »Der wird bestimmt von hundert Leuten bewacht. Da gehn wir alle
drauf dabei. Der hockt im tiefsten Bayern.«
    »Ach was! Du triffst ihn alleine. Wenn er nicht alleine kommt, lassen
wirs eben.«
    Sofie protestiert noch eine Weile, aber Jacob läßt sich nicht
abbringen von der Idee und weiht die anderen ein.
    »Ich nahm das Telefon in die Hand, Sie können nicht
nachvollziehen, was in mir vorging, aber Sie müssen so tun als ob, Sie müssen
das beschreiben, glaubwürdig und leidenschaftlich beschreiben, müssen die hohen
Töne finden, die ganz hohen Töne!«
     
    –  Ja?
    –  Alexander?
    –  Ja.
    –  Hier ist Sofie. Weißt du noch? Wir haben uns mal gekannt … lange
her. Ein Vierteljahrhundert?
    Ich konnte es nicht fassen. Der Schweiß lief mir in Bächen
herab. Meine schon fast totgeglaubte Geliebte redete mit mir. Meine Knie
versagten

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