Eros
wartete. Meine Aufregung verlangte nach einem
Kognak. Und noch einem. Der weiße Hirsch war eine schlichte Kaschemme, wo die
Bauern der Umgegend Schafkopf um fünf Pfennig spielten. Ich wartete, in großer
Erregung. Gleich würde ich gekidnappt werden, mit dem Tode bedroht. Und wenn
ich sterben müßte, dachte ich, könnte ich Sofie dabei in die Augen sehen.
Seufzen Sie nicht so gequält! Nein, ist schon gut … Irgendwann
zupfte mich die Bedienung an der Schulter, räumte mein Glas ab und deutete auf
die Wanduhr. Es war Mitternacht. Zapfenstreich. Naja. Gestalten Sie mich ruhig als
einen Narren. Sparen Sie nicht an Komik. Immerhin hatte ich mit ihr gesprochen.
Und ich konnte mir einreden, daß sie auf all das Geld meinetwegen verzichtet
hat. Aus Sorge um mich.«
»Diese Geschichte glaubt mir kein Mensch.«
»Wieso? Verzeihung, wieso? Mancher Romanautor würde die Gelegenheit
nicht ungenutzt lassen, würde von einer dramatischen Entführung berichten, von
einer dramatischen Todesgefahr, von einer noch dramatischeren Rettung und einer
ganz und gar dramatischen Flucht durch die eiseskalte Nacht. DAS wäre
unglaubwürdig! Verstehen Sie denn nicht? Ich war nur ganz kurz enttäuscht. Dann
glücklich. Sofie hatte mich gewarnt! Hatte Verrat an ihren eigenen Leuten
begangen, um mich zu warnen! Ich war ihr nicht völlig gleichgültig .
Können Sie sich vorstellen, was das für mich bedeutete?«
Bei der Erinnerung daran verlor Alexander die Fassung, schluchzte
und bog sich tief in seinen Sessel zurück. Wir brachen die Sitzung ab. Sofort,
nachdem ich mich aus dem Saal geschlichen hatte, peinlich berührt, klingelte er
nach dem Arzt.
In jener Nacht gab es erstmals keinen Baulärm zu hören
noch irrte Scheinwerferlicht durch den Park.
Ob das Mausoleum fertig sei? Lukian meinte, der Begriff Mausoleum wäre entschieden zu hoch gegriffen für eine schlichte steinerne Grabstätte mit
zweieinhalb Meter Höhe. Geometrisch entspreche das Bauwerk einem Wachtelei,
dessen obere Hälfte aus dem Boden rage. Er mußte grinsen über solch morbide
Selbstironie.
Im übrigen, teilte er mir mit, habe er umgedacht. Ich würde meinen
Roman ja doch schreiben, das sei mir anzusehen. Mir und meiner abgetragenen
Kleidung. Wenn er schon verdammt sei, als Figur in einem Kunstwerk zu enden,
wolle er dieses so gut wie möglich beeinflussen.
Wir hockten am Tresen der Schwimmbad-Bar und zapften Whiskey aus den
nach unten aufgehängten Flaschen. Bald wurde Lukian beinahe zutraulich, ohne
indes den didaktischen, leicht verbitterten Stil abzulegen, der ihn prägte.
Die Bewegung 2. Juni habe als solche keinen Kontakt zur
DDR gepflegt, von Einzelpersonen abgesehen. Erst Ende der Siebziger, nach dem
Anschluß der übriggebliebenen Mitglieder an die RAF, seien Treffen mit der
Staatssicherheit offiziell, wenn auch unter strengster Geheimhaltung,
protokolliert worden. Er könne mir frühere, inoffizielle Akten zur Verfügung
stellen, deren Notate etwas über Sofies Zeit im Untergrund enthielten. Damit
ließen sich vielleicht einige Lücken in Sofies biographischer Landkarte
schließen. Diese oft nur handschriftlichen Aufzeichnungen habe er unter großen
Mühen nach dem Mauerfall im Osten besorgt, bevor sie in falsche Hände zu fallen
drohten. Allerdings, gab er zu bedenken, enthielten diese Papiere nicht immer
notwendigerweise die Wahrheit . Beamte, wenn man sie so bezeichnen dürfe, hatten sie
verfaßt, die weder neutral, geschweige denn fair gewesen seien. Man
müsse dieses Material mit Vorsicht genießen, mit der Fähigkeit, zwischen den
Zeilen zu lesen und zu interpretieren. Einige nackte Daten und Ortsangaben
könnten immerhin von Nutzen für mich sein.
Ich dankte. Und wurde ein wenig mißtrauisch ob dieses plötzlichen
Gesinnungswandels. Ob Alexander dieses Material bekannt sei?
Selbstverständlich, nur halte er davon nicht viel. Sofie würde darin
durch die ideologische Brille gesehen und gleichsam karikiert. Er legte mir um
Mitternacht eine große Mappe aufs Bett. Ich dankte erneut.
»Darf ich noch eine Frage stellen?«
»Fragen Sie.«
»Ist Sofie eigentlich noch am Leben?«
Lukian Keferloher sah mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an,
hob die Schultern und lächelte.
»Ich habe mir die ganze Zeit überlegt, wann Sie diese Frage endlich
stellen würden.«
»Und?«
»Ich kann darauf nicht antworten.«
»Weil Sie es nicht wissen oder weil Sie nicht antworten wollen?«
»Darüber reden will ich definitiv nicht.«
»Haben Sie Angst,
Weitere Kostenlose Bücher