Eros
Scheiße gebaut, tut mir leid …« Mann Z., der sich bisher nicht geäußert
hat, schlägt versöhnliche Töne an. »Sie ist doch erst so, seit man Ulrike
ermordet hat.«
Der Tod Ulrike Meinhofs in der Gefängniszelle hatte Sofie
in der Tat schwer mitgenommen. Wie konnte eine so starke, kluge Frau an der
Welt verzweifeln, wo es doch noch Möglichkeiten ohne Ende gab, gar nicht
überschaubare Möglichkeiten. Wie konnte diese Mutter, die doch eine
Vorbildfunktion besaß, sich ausgerechnet am Muttertag erhängen? Auf eine so
erniedrigende Weise Selbstmord verüben?
Viele auf seiten der Linken glauben an Mord, Sofie nicht. Kein noch so
törichter Staat würde sich eine Märtyrerin ins eigene Nest legen. Nicht auf
diese Art und Weise. Man könnte jemanden ja ebensogut mit Tabletten vergiften
und eine Krankheit vortäuschen. Warum erhängen? Mit der Meinhof starb mehr als
nur ein Idol, mit ihr starb auch ein großes Stück von Sofies Mut und
Widerstandskraft.
»Das alles entschuldigt gar nichts.«
»Seh ich genau so. Sie istn Risiko.«
»Es ist doch noch mal gut gegangen.«
Sofie steht plötzlich in der Tür. Alle werden schlagartig
still.
»Es ist noch mal gut gegangen? Ach so. Dann feiert ruhig!«
»An deiner Stelle würd ich das Maul halten.«
»Die Papiere waren super. Die hätten uns doch einfach ziehen lassen.
Warum? Warum habt ihr das getan?«
»Du hast das nicht sehen können! Du saßt vorne. Die Bullen haben was
gemerkt.«
»Was denn?«
»Egal, sie haben was gemerkt, und wenn nicht, waren sie zu blöd. Was
solls? Es ist passiert. Aber du – du hast uns in Gefahr gebracht. Uns alle! Du
hast komplett versagt, das ist Fakt!«
»Und? Wollt ihr mich jetzt auch erschießen?« Sie sagt es sehr ruhig,
mit leicht heiserer Stimme, fast wie in Trance, souverän, ohne Angst und
Hysterie. Sie zieht eine der erbeuteten Polizeipistolen.
»Ist das nicht merkwürdig? Da ist nur ein Stück Metall drin. Aber je
nachdem, wo dieses Stück Metall künftig sein wird, da oder dort oder hier –«
Sie deutet mit dem Pistolenlauf nach und nach auf jeden der Köpfe der
Anwesenden, inklusive ihres eigenen. Sie beendet den Satz nicht, ihre Gedanken
haben sich verheddert, es erscheint ihr plötzlich skandalös, welche
Auswirkungen ein Stückchen Metall haben soll, ganz egal, wie es um die Gedanken
bestellt ist, in die es hineinplatzt. Sie legt die Pistole auf dem Fensterbrett
ab. Niemand sagt ein Wort. Friederike X. bereitet auf dem Gaskocher Tee.
Drüben
In einem Gebäude in Strausberg, nordöstlich von Berlin,
trifft IM Jacob anderntags einen Oberst der Staatssicherheit mit
Sondervollmacht. Der etwa fünzig Jahre alte Offizier zeigt sich ungehalten über
die jüngsten Ereignisse.
»Ihr könnt euch sowas nicht leisten. Ihr seid nicht mehr beim
Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen. Verkehrspolizisten! Schlechte
Presse.«
Jacob nickt unterwürfig. Ohne die gefälschten Personalausweise aus
dem Ministerium ist keine Zukunft denkbar, die über Tage und Wochen
hinausreicht. Friederike X. hat ihm telefonisch Sofies Versagen geschildert und
dabei gnadenlos übertrieben. Sie sei betrunken gewesen und habe sich verdächtig
gemacht, man habe gezwungenermaßen einschreiten müssen. Und genau so, nur noch
etwas übertriebener, schildert er die Sachlage dem Stasioberst. Der hört sich
das an, klopft mit seinem Bleistift Schicksalsschläge auf den Schreibtisch.
»Werdet sie los.«
Jacob nickt, dann gibt er zu bedenken, welch schlechte Presse das erst nach sich zöge. Der Oberst denkt kurz nach. »Schlechte Presse geht
vorüber.«
Das klingt in Jacobs Ohren nun arg zynisch. Man könne ihr ja nichts
vorwerfen, außer daß sie trinke. Und ein zu weiches Herz habe und schwache
Nerven. Sie sei schon lange dabei, außerdem –
»Was?«
»Naja – sie hat ein sympathisches Gesicht. Immer noch. Kommt gut auf
den Plakaten. Das sollte man hinsichtlich der Breitenwirkung nicht
unterschätzen.«
»Das stimmt.« Der Oberst rollt den fast schon abgeschlossenen Fall
noch einmal auf und langsam hin und her, von Ohr zu Ohr. Das Fahndungsfoto
zeigt eine hübsche Frau mit dunklen großen Augen.
»Enormes bildliches Potential«, stellt der Oberst fest, »das kann
man jedoch auch andersrum nutzen. Ein Unfall vielleicht. Ideal wäre natürlich,
sie würde vom Klassenfeind erschossen.«
Das, gibt IM Jacob zu bedenken, sei schwer zu inszenieren. Er
fürchte, daß sich Sofie K. im Falle eines behördlichen Zugriffs nicht zur
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