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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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daß ich Sofie entstellen könnte? Sagen Sies!«
    »Niemand, der sie nicht kannte, kann sie angemessen beschreiben.
Nicht einmal Alexander kann das.«
    »Aber Sie könnten?«
    Lukian ließ die Frage an sich abgleiten und sah gleichsam von oben
auf sie herab, wie man eine Pfütze im Rinnstein betrachtet. Das sei nicht
ausschlaggebend, meinte er. Was ich zu Papier bringen müsse, sei nun einmal Alexanders Geschichte, nicht seine, er habe mir das schon gestern zu erklären versucht. Er
müsse sich da strikt heraushalten. Ob ich noch etwas wünsche?
    »Friede auf Erden.«
    Er versprach sein Möglichstes.

Sechster Tag
    Vollgasfahrt
    Am frühen Morgen des 24. Oktober 1976 gerät ein Opel
Commodore mit vier Mitgliedern aus Sofies Gruppe nahe Helmstedt an der
deutsch-deutschen Grenze in eine Routinekontrolle der Verkehrspolizei. Sofie,
die am Steuer sitzt, fährt rechts ran, sucht die Wagenpapiere im Handschuhfach.
Jacob fehlt, er befindet sich in diesen Tagen auf Exkursion in Berlin. Zwei
noch relativ junge Polizisten nähern sich dem Fahrzeug. Die abgesprochene
Strategie für einen derartigen Fall ist folgende. Erstens: Verkehrspolizei ist
so lange wie möglich zu schonen. Zweitens: Das Feuer wird erst eröffnet, wenn
die Gegenseite unzweifelhaft Maßnahmen zur Verhaftung trifft. Drittens: Bei
einer darauffolgenden Eskalation wird keine Rücksicht genommen. Der Verhaftung
muß sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entzogen werden.
    »Papiere bitte. Führer- und Fahrzeugschein!«
    Sofie händigt beides aus. Der zweite Polizist inspiziert den Wagen.
    Wie für das vorliegende Szenario vereinbart, bittet einer der im
Rückraum sitzenden Männer darum, pinkeln zu dürfen. Die Angriffsfläche wird
dekonzentriert.
    »Wenns sein muß.«
    Der Mann, seine Identität ist bis heute ungeklärt, stellt sich an
den Straßenrand.
    »Schalten Sie mal Ihre Lichter an!«
    Die Lichter werden auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft. Es gibt
keine Beanstandung.
    »Öffnen Sie nun bitte noch den Kofferraum.« Die Frau auf dem
Beifahrersitz, ihr Name ist Friederike (alle Namen geändert), steigt aus, geht um den Wagen herum. Der Kofferraum ist leer, es gibt keinen
Grund, ihn nicht zu öffnen. Dennoch, wie auf ein heimliches Signal hin, ziehen
Friederike X. und der am Straßenrand an seiner Hose nestelnde Mann Y. ihre
Pistolen und eröffnen das Feuer. Schwerverletzt bleiben die beiden Polizisten
Holger M. und Hans-Peter P. liegen, mehrfach in Brust und Bauch getroffen.
Friederike X. beraubt sie ihrer Dienstwaffen, steigt mit der Beute ein.
    »Fahr los!«
    Sofie reagiert nicht.
    »Gib Gas, verflucht!«
    Sofie zeigt wieder keine Reaktion. Friederike X. steigt aus, rennt
um den Wagen herum, stößt Sofie brutal auf den Beifahrersitz und übernimmt das
Steuer selbst.
    Zwanzig Minuten später, nach einer Vollgasfahrt über
herbstschmierige Landstraßen, erreicht das Quartett eine Hütte am Waldrand nahe
Salzgitter. Der Opel wird in einer aus Preßspanplatten schlecht
zusammengezimmerten Garage untergebracht. Die Hütte an den Ausläufern des Harz
gehört einem ehemaligen Förster, der sie nicht mehr benutzt und seinem Sohn
überlassen hat, einem Sympathisanten der linken Szene und ehemaligen
Bettgenossen der Friederike X. Es ist hohe Pilzsaison. Und Sonntag. Ohne das
miserable Wetter wären Dutzende Waldgänger unterwegs. Drinnen in der Hütte
kommt es zum großen Krach, der mit einer fast surrealen Stille beginnt. An den
Wänden hängen Geweihe, Strom gibt es nicht, nur einen Pumpbrunnen und einen
Abtritt ohne Spülvorrichtung. Das Kofferradio läuft batteriebetrieben. Länger
als eine Nacht wird man hier nicht verbringen können, die Gruppe muß sich auflösen,
muß in der Großstadt Unterschlupf suchen und neue Zellen bilden. So ist es
vorgesehen. Im Radio läuft ein Blondiesong. Die Nachrichten melden die
Schießerei, die beiden angeschossenen Polizisten liegen, um ihr Leben ringend,
im Krankenhaus.
    »Was? Die sind nicht tot?« Mann Y. kann es nicht fassen. Sofie steht
auf, sieht ihn an, gibt ihm eine Ohrfeige, verläßt die Hütte, setzt sich in den
Nieselregen.
    Drinnen setzt eine lebhafte Diskussion ein.
    »Bisher hat sie doch funktioniert.«
    »Bisher kams nie hart auf hart.«
    »Sie hat versagt! Das macht die auf meine Kosten nicht nochmal.«
    »Wie stellste dir das vor? Sollen wir sie anner Raststätte
aussetzen? Oder im Tierheim abgeben?«
    »Wenn sie jetzt wenigstens ankäme und sagen würde – hört mal, ich
hab

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