ErosÄrger
Haut, weiß wie Schnee, dunkel wie Ebenholz, haarig, glatt, männlich, weiblich. Nur eines war bei allen Traumbruchstücken gleich. Die Stimme. Männlich. Sie hatte mich gestern beinahe an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben. Apropos Nervenzusammenbruch: Musste ich wirklich nach draußen gehen, obwohl ich (ganz ohne magische Fähigkeiten) wusste, dass Frau Meyer auf mich lauerte?
Ich atmete noch einmal tief durch. Dann öffnete ich die Tür, bevor ich mir Argumente fürs Zuhause-bleiben überlegen konnte.
»Welch ein Zufall. Guten Morgen!«, flötete Meyer, die den Anschein erweckte, gerade die Treppe hinunterzukommen.
»Ja, ein Zufall!«, murmelte ich und warf einen bösen Blick auf ihr Haustier.
Es ignorierte mich. Anscheinend war die Stelle, an der der Golem die Nacht verbracht hatte um einiges aufregender, als die zarte, aufkeimende Feindschaft zwischen uns.
»Und? Wie ist die Arbeit?«
»Ist ganz in Ordnung.« Ich zuckte mit den Achseln.
»Da liest man aber anderes.« Staats hatte sich in seiner plötzlich offenen Tür materialisiert und hielt eine Zeitung in die Luft. Ich trat einen Schritt näher um das Objekt der Anklage näher zu inspizieren. Dieses Mal hatte ich es auf Seite 5 geschafft, konnte also nicht so wild sein.
»Suche nach Liebe?«, las ich laut vor und überflog die wenigen Zeilen, die sich mit dem Speed-Dating befassten. Schließlich trat ich wieder zurück. »Keine Sorge, Herr Staats. Das war keine Suche – nur Betriebsgeheimnisse ausspionieren.«
Einen Moment lang wirkte der rüstige Frührentner irritiert, bevor er zu strahlen begann. Noch einige Watt mehr und man hätte ihn zwecks Beleuchtung an die Decke hängen können.
»Das ist toll!« Er beugte sich vertraulich zu mir. »Wissen Sie, ich bin nämlich früher Spion gewesen.«
»Ehrlich?«
»Ja, aber genaueres kann ich Ihnen nicht sagen, sonst müsste ich Sie umbringen.«
Zum Glück war ich sogar zu überrascht, um auf das Teufelchen in meinem Inneren zu hören, und brachte nur ein »Aha« heraus.
»Ja, wenn es mal was gibt, was sie herausfinden müssen oder anderen Spionagekram …«
»… wende ich mich vertrauensvoll an Sie«, bestätigte ich. Dabei war ich ernsthaft versucht, den Rentner zu knuddeln. Einfach, weil er einer der wenigen Personen war, die wirklich nett und hilfsbereit zu sein schienen. Auch wenn er ganz offensichtlich geisteskrank war.
Sekunden später war er verschwunden und ich starrte wieder auf die leere Stelle, die er hinterlassen hatte. Vielleicht war er doch nicht ganz geisteskrank?
Ich warf einen Blick zurück zu Meyer, die sich fröhlich pfeifend an die Schläfe tippte. Direkt, bevor sie den Fehler machte, an Mr. Fluffys Leine zu ziehen. Das kleine Fellbündel erwachte aus seiner hingerissenen Golem-Erschnupper-Phase, knurrte mich an und übernahm augenblicklich die Führung. Ich tat seinem Ego (und meinen Waden) den Gefallen und hielt ihm und meiner Nachbarin die Tür auf. Erst als auch der letzte ihrer blau-weißen Lockenwickler um die Ecke gebogen und aus meinem akuten Sichtfeld entschwunden war betrat ich den Gehweg. Nur um mich augenblicklich umzusehen. Paranoid? Wer, ich?
Tatsächlich wartete der Golem schon einige Meter von der Tür entfernt und setzte sich augenblicklich in Bewegung, als ich in »meine« Richtung abbog. Wenige Meter später fiel mir das erste Einhorn auf – und das zweite.
Wie war das noch mal mit der Pfeife?
Vielleicht, wenn ich mir eine Lagerhalle mieten würde mit zwei Türen an den gegenüberliegenden Ende und ich mit der Pfeife voran … Äh. Ach, lassen wir das einfach. War aber ein schöner Wunschgedanke.
Auf der Höhe von Sergios halloweengelb geschmückter Trinkhalle (passte kein bisschen zu dem normalen blau-weiß) hatte ich bereits wieder dasselbe Wutlevel erreicht wie nach dem Aufwachen. Mit einem Unterschied. Hier war ein direktes Ventil in Rufweite.
»Guten Morgen, Sergio. Sandro!« Den beiden Frauen neben dem WerStier gönnte ich nur einen Blick zur Begrüßung. Hochmütige Kühe hatte ich noch nie leiden können. Egal, ob zwei- oder vierbeinig.
»Für Sie Herr
de Rose
«, fauchte eine von ihnen.
»Wieder fit?«, erkundigte ich mich bei dem Auf-gar-keinen-Fall-werde-ich-dich-Herr-de-Rose-nennen-SuperStier.
»Geht so«, gab er zu, schenkte mir aber ein sündhaft schönes Lächeln. Gefolgt von einem Blick, der zu intim war, um ihn zu ignorieren.
»Und Tatjana?«, stichelte ich deswegen.
Auf Sandros Gesicht machte sich schlagartiges
Weitere Kostenlose Bücher