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fortzubewegen, war nicht schwierig. Mindestens fünfzig Prozent der Vorderfront des Gebäudes bestanden aus Gittern wie dem, an dem Marlon jetzt hing. Wenn es dabei überhaupt einen problematischen Aspekt gab, dann war es der Übergang von einem Gitter zum nächsten. In vielen Fällen wurde dieser durch diverse Teile erleichtert, die außen an dem Gebäude angebracht waren: Vordächer, Konsolen für außen befestigte Klimaanlagen, Kabelbündel, Leitungsrohre, Fallrohre und quasieuropäischer, in Beton gegossener architektonischer Schnickschnack.
Ein Blick direkt nach oben zeigte Marlon das Kabelbündel, das über die Straße zu dem Gebäude gegenüber führte. Deutlich erkannte er das blaue Cat-5-Kabel, das er und seine Partner hinzugefügt hatten, als sie eingezogen waren. Wenn er dort hinaufklettern würde, könnte er sich an dem Bündel entlang auf die andere Seite hangeln. Das kam ihm allerdings unnötig riskant vor, wo er doch einfach abwärts klettern konnte.
Das Fenster über ihm im vierten Stock explodierte und überschüttete ihn mit Glasscherben. Marlon schloss die Augen, senkte den Kopf und ließ alles auf sich herabregnen. Dann begann er sich, so schnell er konnte, seitwärts zu bewegen, denn das Bersten der Scheibe war kein einmaliger Vorgang: Da oben zertrümmerte jemand systematisch mit einem harten, schweren Gegenstand das Fenster. Mit einem flüchtigen Blick nach oben erblickte er den Gegenstand und erkannte ihn als Gewehrkolben. So rasch es ging, schob er sich seitwärts weiter. Seine Mitbewohner tauchten durch dieselbe Gittertür auf wie er und sahen zu ihm herüber; ihr Instinkt riet ihnen, dem Anführer zu folgen. Marlon gestikulierte heftig in die andere Richtung und warf dabei vielsagende Blicke hinauf zu dem wild stochernden Gewehrkolben, und sie verstanden schnell, was er meinte.
Unten auf der Straße schrien Menschen. Er beachtete sie nicht.
Unmittelbar über ihm ertönte ein Schuss, dann noch einer, und beide drohten ihn mit ihrer Schockwelle wegzureißen. Metall flog, und ihm wurde klar, dass das Schloss am Fenstergitter von innen herausgeschossen worden war. Da er nicht wusste, was das zu bedeuten hatte, begann er sich noch schneller, noch gewagter zu bewegen und erreichte nach kurzer Zeit die Ecke des Hauses. Unter ihm mündete eine schmale Seitenstraße in eine große, die an der Gebäudevorderseite entlangführte. Dort war eine Etage tiefer vor so langer Zeit ein Vordach angebaut worden, dass das Wellblech durch und durch verrostet und durchlöchert war. Und das war gut so, denn von einem neuen Dach wäre er abgerutscht. Das hier würde jede Menge Reibung und außerdem verschiedene Haltemöglichkeiten bieten. Marlon nutzte die Fenstergitter, um auf diese Ebene hinunterzuklettern, dann die Konsole einer Klimaanlage und ein Fallrohr, um sich daran um die Ecke zu schwingen und auf das Vordach zu gelangen. Nachdem er darauf etwa zehn Meter in horizontaler Richtung zurückgelegt hatte, erreichte er die Mittellinie der Hausseitenwand, gekennzeichnet durch eine senkrechte Säule kleiner Fenster, die Licht in ein Treppenhaus warfen. Parallel dazu verlief ein vertikales, sehr dickes und dichtes Kabelbündel mit vielen Möglichkeiten, sich festzuhalten. Dahinein grub Marlon seine Finger, fand sicheren Halt, pflanzte seine Schuhe auf den Backstein und fing an, wie eine menschliche Fliege an der Seite des Gebäudes hinunterzugehen.
Als er an dem Fenster im ersten Obergeschoss vorbeikam, hätte er fast den Halt verloren. Ganz kurz war ein Gesicht im Fenster aufgetaucht, so nah, dass er es mit seiner ausgestreckten Hand hätte berühren können, wäre nicht eine schmutzige Glasscheibe im Weg gewesen. Es war das Gesicht eines weißen Mannes, rund, schwer, das dunkle Haar nach hinten geklatscht, die Haut rot vor Erregung. Nur für eine Sekunde war es zu sehen. Dann verschwand es, da der Mann weiter die Treppe hinunterging.
Doch selbst durch das Glas und über den Lärm hinweg konnte Marlon den Mann ein einziges englisches Wort brüllen hören: » DU !«
Neugier war für Marlon jetzt eine stärkere Antriebskraft geworden als Selbsterhaltung. Einen Moment lang hatte er an einer Stelle verharrt, wandte sich aber jetzt wieder dem Kabelbündel zu, an dem er nach neuen Haltemöglichkeiten suchte. Er wollte in die nächsttiefere Ebene gelangen, um zu sehen, wer DU war.
Seine Aufmerksamkeit wurde jedoch durch eine erneute Bewegung in dem Fenster abgelenkt: Ein anderes Gesicht, durch den Schmutz des
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