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seid«, sagte Yuxia. Der Verkehr war inzwischen dicht geworden, und sie wechselte häufig die Spur.
»Wir haben jetzt eine Pistole und zwei Handgranaten«, verkündete Csongor.
Marlon hatte eine der Granaten in die Hand genommen und untersuchte sie gerade. Die Seiten des Behälters waren mit großen Löchern versehen, die etwas von der inneren Struktur preisgaben. »Das sind keine echten Granaten«, äußerte Marlon. »Schau mal hier. Keine Splitter. Stattdessen Löcher.«
»Blendgranaten?«, mutmaßte Csongor.
»Oder Rauch oder Tränengas.« Solange sie sich an das Vokabular von Computerspielen hielten, konnten Marlon und Csongor sehr klar miteinander kommunizieren.
Yuxia schaltete sich ein. »Csongor sollte uns eigentlich erzählen, wer er ist«, erinnerte sie Marlon. »Die Beschreibung der Granaten könnt ihr euch für später aufheben.«
»Ich werde euch sagen, wer ich bin«, versprach Csongor. »Aber vorher erzählt mir bitte, was eben passiert ist. Was wisst ihr über diesen großen Schwarzen?«
Marlon funkelte ihn an. Csongor wurde klar, dass er ihn gekränkt oder vielleicht auch nur erschreckt hatte, indem er unterstellte, dass er, Marlon, etwas darüber wissen könnte, wer dieser Kerl war. Er sah ihm in die Augen. »Es könnte wichtig sein«, sagte Csongor eindringlich.
»Er hat zusammen mit Typen aus dem fernen Westen über uns gewohnt«, sagte Marlon. »Wir haben ihn nur ein paarmal gesehen.«
»Habt ihr gewusst, dass diese Typen aus dem fernen Westen Kalaschnikows hatten?«
»Wofür hältst du mich, Mann?«
»Okay, tut mir leid.«
In der Hoffnung, das würde das Pochen in seinem Kopf besänftigen, lehnte sich Csongor auf seinem Sitz zurück. Es herrschte eine bedeutungsvolle Stille: die Art der beiden anderen, ihn daran zu erinnern, dass er sich noch erklären musste. »Gut«, sagte er. »Wisst ihr zwei irgendwas über Ungarn?«
Keiner wusste etwas. Aber das wollte keiner zugeben, vielleicht aus Sorge, unhöflich zu erscheinen. Marlon erwähnte, etwas unerwartet, die Wasserballmannschaft bei den Olympischen Spielen 1956. Aber da begann und endete auch schon seine Kenntnis über Ungarn.
Immer wenn Csongor an einem Flughafen war, ging er zum Zeitungskiosk und durchstöberte die zahllosen Ständer mit englischen und deutschen Hochglanzmagazinen, verwirrt über das Phänomen, dass manche Kulturen groß genug waren, um monatliche Veröffentlichungen zu rechtfertigen, in denen Leute sich in Druckform aufgeregt über die kleinsten Details von Make-up, Hochleistungsmotorrädern und Modelleisenbahnen ausließen. Ungarn lernten diese Sprachen, damit sie, wenn es ihnen genehm war, so tun konnten, als gehörten sie zu dieser Welt. Ihre Isolation und Winzigkeit waren jedoch nichts im Vergleich dazu, wie es sich verhalten hätte, wenn sie ein Teil von China gewesen wären. Wenn die Ungarn hier überhaupt überlebten, würde man sie einmal im Jahr zum Vorschein kommen und Volkstänze aufführen lassen, nur um dem Rest der Welt zu beweisen, dass sie noch nicht ausgelöscht worden waren. Csongor hatte noch nie von Yuxias Minderheit, den Hakka, gehört, brauchte aber dennoch nicht auf Wikipedia nachzuschlagen, um anzunehmen, dass es von ihnen vermutlich zehnmal so viele wie Ungarn gab.
Womit sollte er also anfangen?
»Das ist eine lange Geschichte. Ich könnte mit der Schlacht von Stalingrad anfangen«, sagte er, »und von da aus weitermachen. Aber.« Er brach ab, seufzte und überlegte.
»Erst mal bin ich ein Arschloch, das einen Haufen falsche Entscheidungen getroffen hat.«
Ungarn war ein eingebettetes System. Es war müßig, davon zu träumen, wie es wäre und welche mutigen und edlen Entscheidungen Ungarn getroffen hätte, wäre es tausendmal größer und von einem Salzwassergraben umgeben. Er machte eine Pause.
Yuxia musterte ihn im Rückspiegel.
Marlon fixierte ihn mit einem leicht ungläubigen Blick, als wollte er sagen: Wenn du ein Arschloch bist, das falsche Entscheidungen getroffen hat, was bin ich dann?
Darüber musste Csongor unwillkürlich schmunzeln. Zu seinem Erstaunen verzog sich Marlons Gesicht zu einem breiten Lächeln. Kühl, rau, abgeklärt, aber zweifelsohne ein Lächeln. Der Chinese drehte sich wieder zum Fenster, um es zu verbergen.
»Und aufgrund gewisser bescheuerter Überbleibsel der Vergangenheit, mit denen wir gerade aufräumen«, fuhr Csongor fort, »waren die Dinge für mich eigentlich bequem und einfach, solange ich immer wieder die falschen Entscheidungen getroffen
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