Error
sie fertig wurde, damit er selbst ein bisschen anonym browsen konnte, aber sie ließ sich Zeit damit. Wozu sie auch allen Grund hatte. Wie sollte sie das Ganze auch ihrer Familie erklären?
»Denk dran«, sagte er, »die Polizei in China kann zwar deinen Aufenthaltsort nicht feststellen, aber sie kann deine E-Mail lesen. Sag deiner Familie also nichts, was die Polizei nicht wissen soll.«
»Ich bin nicht blöd«, sagte Yuxia ruhig.
Nach dieser doppelten Abfuhr schlenderte Csongor wieder zurück zu Marlon, der sich mit seiner Erkundung offenbar nicht viele Umstände gemacht hatte. »Wir haben Glück«, sagte er. »Dort herrscht das totale Chaos. Keiner hat die Vorherrschaft. Perfekt für mich.«
»Hört sich gefährlich an.«
»Banditen und Plünderer kann ich abwehren«, sagte Marlon gelassen, »bloß keine Armee.«
Damit startete er die eigentliche T’Rain-Applikation und tippte einen Benutzernamen und ein Passwort ein. Der Bildschirm zeigte eine Galerie von Charakteren, alle blinzelnd, atmend und sich kratzend. Unter jedem befand sich eine wie Pergament strukturierte Schriftrolle, auf der offenbar sein Name stand. Die meisten waren auf Chinesisch geschrieben. Csongors Blick wurde von einem angezogen, den er schon einmal gesehen hatte, nämlich als Abbildung auf dem ursprünglichen Erpresserbrief. Es war ein Troll. Sein in ordentlichen lateinischen Druckbuchstaben geschriebener Name lautete REAMDE .
Marlon doppelklickte auf Reamde. Das Bild wurde größer, füllte den Bildschirm aus und gewann an Schärfe und Dreidimensionalität, während die anderen verblassten und verflachten. Reamde wirbelte herum, sodass er ihnen den Rücken zukehrte. Sie schauten dem Troll nun über die Schulter. Er hatte in einer Höhle geschlafen und war soeben aufgestanden, um einen Blick in die Runde zu werfen. In einer schnellen Serie vorprogrammierter Bewegungen legte Reamde Kleider, eine Rüstung, Waffen und Stiefel an und hängte sich eine Tasche über die Schulter. Dann, auf Befehle von Marlons Fingern hin, trabte er die Höhle entlang in Richtung Ausgang los: ein sternenbedeckter Nachthimmel, sichtbar durch eine unregelmäßig gezackte Öffnung. Wenige Augenblicke später trat Reamde hinaus in die Welt von T’Rain.
Achtzehnter Tag
»Bingo«, sagte Corvallis. »Er ist im System. Er ist gerade aus seiner Höhle gekommen. Es sieht so aus, als würde er eine Zeitlang aktiv sein.«
Es war 8 Uhr 23. Richard stand neben seinem Land Cruiser an der Landebahn neben dem winzigen Flughafen von Elphinstone und sah zu, wie eine Cessna in den Himmel stieg und südwärts abschwenkte. Er hatte gerade John und Jake hineingestopft und dem Piloten ein paar altmodische Hunderter überreicht.
Vor erst vierundzwanzig Stunden waren John, Richard und Jake hier gelandet. Ein einziger Tag Herumsitzen hatte völlig gereicht, und deshalb hatte John sich erboten, einen Wagen zu mieten, Jake über die Grenze zurückzufahren und einige Zeit bei ihm und seiner Familie in Idaho zu verbringen. Richard hatte – in der Hoffnung, dass es nicht so aussah, als wolle er seine Brüder möglichst rasch loswerden – einen Buschpiloten, den er kannte, angerufen und die Sache binnen einer halben Stunde klargemacht. Das Dröhnen des Startanlaufs der Cessna hatte das Klingelgeräusch seines Handys übertönt, aber er hatte das Vibrieren an seinem Hintern gespürt und es gezückt, kurz bevor es auf Mailbox umschaltete.
»Wissen wir, wo er ist?«, fragte Richard.
»Daran arbeiten wir noch, aber wir glauben, auf den Philippinen.«
»Das wäre plausibel«, überlegte Richard. »In China ist die Kacke am Dampfen, er setzt sich aus dem Land ab, hält sich eine Zeitlang bedeckt und streckt schließlich wieder den Kopf hoch, als er Geld braucht.« Die Cessna war nur noch ein leise dröhnender Punkt in einem wolkig-rosaroten Sonnenaufgang. Richard ließ seinen Hintern auf den ramponierten Sitz des Land Cruisers plumpsen.
»Scheiße«, sagte er, während sein Blick hilflos zwischen seinem Telefon und dem Schalthebel hin- und herging. »Ich kann nicht mit Schaltgetriebe fahren und dabei telefonieren.«
»Wahrscheinlich nur gut so«, meinte Corvallis, »auf diesen gewundenen Bergstraßen.«
»Behalt einfach im Auge, was er so macht, okay? Tu nichts, was ihn verscheuchen könnte.«
»Ich bin nicht mal eingeloggt«, sagte C-plus. »Ich verfolge ihn einfach nur mit Datenbankabfragen.«
»Was macht er?«
»Sucht hauptsächlich nach seinen Freunden. Stellt eine Truppe
Weitere Kostenlose Bücher